Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. vorläufiger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Ermessen. wesentliche Änderung iS des § 48 SGB 10. stationäre Unterbringung. Pauschalierungsgrundsatz. keine Anrechnung der Verpflegung als Einkommen
Leitsatz (amtlich)
1. Die in einer stationären Einrichtung zur Verfügung gestellte Ernährung führt nicht zu einer Reduzierung des Bedarfs eines Hilfebedürftigen.
2. Eine Berücksichtigung der in einer stationären Einrichtung zur Verfügung gestellten Ernährung als Einkommen ist nicht zulässig (entgegen LSG Celle-Bremen vom 29.1.2007 - L 13 AS 14/06 ER).
Orientierungssatz
1. Die Grundsätze für das Klageverfahren - ua nach § 123 SGG - gelten in besonderem Maße auch für das Beschlussverfahren im vorläufigen Rechtsschutz; insoweit ist es geboten, unklare oder rechtlich unzutreffende Anträge auch von anwaltlich vertretenen Beteiligten in eine sachgerechte Form zu bringen und hierüber kurzfristig zu entscheiden (hier insoweit die Auslegung des Antrags auf Erlass einer Regelungsanordnung iS des § 86b Abs 2 S 2 SGG als einen Antrag nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG).
2. Bei dem Aufhebungsbescheid über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der gem § 39 Nr 1 SGB 2 sofort vollzogen werden kann.
3. Die aufschiebende Wirkung ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers an der aufschiebenden Wirkung überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang an alsbaldiger Vollziehung erkennen lassen; die aufschiebende Wirkung ist ohne weitere Abwägung dann auszusprechen, wenn der angefochtene Bescheid ersichtlich rechtswidrig ist.
4. Eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 iVm § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 liegt nur dann vor, wenn die Änderung Auswirkungen auf die Anspruchsvoraussetzungen für die bewilligten Leistungen nach dem SGB 2 hat.
5. Der Pauschalierungsgrundsatz gem § 3 Abs 3 S 2 SGB 2 beinhaltet nicht nur das Verbot, zusätzliche Leistungen nach dem SGB 2 - außer den gesetzlich geregelten Leistungen - zu erbringen, sondern auch einen Rechtsanspruch auf die volle pauschalierte Regelleistung.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 23. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 23. Februar 2007 ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen einen Bescheid des Antragsgegners angeordnet, mit dem dieser nur noch geringere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bewilligt hatte. Der Senat verweist zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen in dem angefochten sozialgerichtlichen Beschluss (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).
Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners bietet keinen Anlass zu einer abweichenden Betrachtung.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Antragsteller auch über den 31. Januar 2007 hinaus die ihnen ursprünglich mit Bescheid vom 13. November 2006 bewilligten Leistungen begehren. Weiter zutreffend hat es das Begehren in rechtlicher Hinsicht als Antrag nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufgefasst und nicht, wie vom Prozessbevollmächtigten der Antragsteller auch noch im Beschwerdeverfahren vorgetragen, als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs 2 Satz 2 SGG. Das Gericht hat darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1 SGG), es ist an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden (§ 103 Satz 2 SGG); es entscheidet über erhobene Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Diese Grundsätze für das Klageverfahren gelten im besonderen Maße auch für das Beschlussverfahren im vorläufigen Rechtsschutz. Insoweit ist es nicht nur unschädlich, sondern sogar geboten, unklare oder rechtlich unzutreffende Anträge auch von anwaltlich vertretenen Beteiligten in eine sachgerechte Form zu bringen und hierüber kurzfristig zu entscheiden.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG kommt nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur in Betracht, “soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt„. Leistungsempfänger, die Änderungen von Bewilligungsbescheiden für unrechtmäßig halten, müssen den zulässigen Rechtsbehelf gegen den Änderungsbescheid einlegen, um weiterhin die ursprünglich bewilligten Leistungen zu erhalten. Soweit der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, bedarf es keiner weiteren Aktionen der Leistungsempfänger, anderenfalls bietet § 86a Abs 1 SGG das erforderliche rechtliche Rüstzeug.
Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, sofern nicht durch Bundes...