Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. hinreichende Bestimmtheit. Heilungsmöglichkeit im Klageverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die fehlende hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts, die nicht spätestens durch den Widerspruchsbescheid hergestellt worden ist, kann im Klageverfahren nicht geheilt werden (Anschluss an BSG vom 13.7.2006 - B 7a AL 24/05 R = SozR 4-1200 § 48 Nr 2 und LSG Celle-Bremen vom 10.8.2011 - L 15 AS 1036/09).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. Dezember 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 aufgehoben.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid, mit dem der Beklagte die Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2008 teilweise zurückgenommen und überzahlte Leistungen i.H.v. 8.127,20 € zurückgefordert hat.
Der 1957 geborene Kläger stand bei dem Beklagten im streitbefangenen Zeitraum im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Nachdem der Beklagte den Kontoauszügen für die Zeit ab Januar 2007, die der Kläger auf seine Anforderung vorgelegt hatte, diverse Bareinzahlungen entnommen hatte, die er als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II wertete, erteilte er den angefochtenen, auf §§ 45, 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. Oktober 2008, mit dem er folgende Regelung traf:
“Hiermit werden die Bescheide vom 22.02.07, 03.08.07 und vom 04.12.07, mit denen Ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 599,56 EURO, EURO 633,16, EURO 601,56 EURO 613,31, EURO 622,91, EURO 699,71 nach dem SGB II bewilligt wurden, mit Wirkung für die Vergangenheit ganz/teilweise aufgehoben. Auch die Zahlung, die ohne schriftl. Bescheid in Höhe von EUR für April 08 ergangen ist, wird teilweise zurückgefordert.
Sie werden hiermit aufgefordert, die für Sie im Zeitraum vom 01.01.07 bis 30.04.08 zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 8.127,20 EURO an die J. Arbeitsgemeinschaft SGB II (ARGE) binnen eines Monats zu erstatten.„
Auf den Widerspruch des Klägers (Schreiben vom 5. November 2008) erteilte der Beklagte einen Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2009, mit dem er den Widerspruch - ohne Ergänzungen/Erläuterungen der getroffenen Regelung - als unbegründet zurückwies. Der in den Akten abgeheftete Entwurf des Widerspruchsbescheides trägt den mit einem Namenskürzel versehenen Vermerk: “abgesandt am 20.10.09„. Eine Klageerhebung erfolgte zunächst nicht.
Nachdem der Kläger eine Mahnung der Bundesagentur für Arbeit vom 25. Juni 2012 über eine seit dem 15. November 2008 fällige Forderung i.H.v. 8.127,20 € unter Hinweis auf einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2008 erhalten hatte, legte er gegen jenen Bescheid nochmals Widerspruch ein und behauptete, er habe keine Kenntnis von diesem Bescheid, dieser sei weder ihm noch seiner Rechtsanwältin zugegangen.
Sodann suchte der Kläger bei dem Sozialgericht (SG) Stade um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach und trug nunmehr vor, er habe gegen den in Rede stehenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit Schreiben vom 5. November 2008 Widerspruch eingelegt, einen Widerspruchsbescheid aber nie erhalten. Der Beklagte übersandte daraufhin eine Kopie des Aktenexemplars des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 an die Prozessbevollmächtigte des Klägers, welcher dort am 10. Oktober 2012 einging.
Der Kläger hat am 23. Oktober 2012 Klage erhoben. In der Klageerwiderung vom 21. Dezember 2012 hat der Beklagte den Rückforderungsbetrag auf die einzelnen Leistungsmonate aufgeschlüsselt, indem er die tatsächlich ausgezahlten Leistungen den neu ermittelten Ansprüchen gegenübergestellt und die sich hieraus ergebenden Differenzbeträge mitgeteilt hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Dezember 2013 hat das SG Stade die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Beklagte nach § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme der für den streitbefangenen Zeitraum erteilten Bewilligungsbescheide berechtigt gewesen sei. Die auf das Konto des Klägers eingezahlten Gelder, deren Herkunft dieser nicht habe plausibel erklären können, seien als Einkommen anzurechnen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X sei gewahrt, da der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 6. August 2008 zum Sachverhalt angehört und am 14. Oktober 2008 den angefochtenen Bescheid erlassen habe. Die überzahlten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Ein Behaltendürfen könne der Kläger auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nur die für die jeweil...