Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Fiktion der Klagerücknahme. Wegfall des Rechtsschutzinteresses. prozessuales Verhalten des Klägers: Klagebegründung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs 2 SGG tritt nicht ein, wenn der Kläger seine Klage begründet hat und erwarten kann, dass das Sozialgericht darüber entscheidet.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. Oktober 2011 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Lüneburg zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts Lüneburg vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 31. März 2010 streitig. Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Feststellung der Erledigung des Klageverfahrens durch eine fiktive Klagerücknahme.

Der 1948 geborene Kläger stand mit seiner Ehefrau F. und seiner am 14. Februar 1991 geborenen Tochter G. bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Die Familie bewohnte ein 150 qm großes Eigenheim in H., wofür im Jahre 2009 Darlehenszinsen in Höhe von 1.827,84 € (Darlehen 7490/60833), 2.299,00 € (Darlehen 7490/608325) und 3.118,66 € (Darlehen 7490/608341) aufzubringen waren.

Auf den Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 06. November 2009 Leistungen für die Zeit vom 12. Oktober 2009 bis 31. März 2010 in Höhe von monatlich 933,07 € vorläufig. Für die Zeit bis 11. Oktober 2009 lehnte der Beklagte einen Anspruch mangels Hilfebedürftigkeit mit Bescheid vom 9. November 2009 ab. Am 17. November 2009 legte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid vom 06. November 2009 Widerspruch ein. Mit Bescheiden vom 03. und 10. Februar 2010 änderte der Beklagte die Bewilligung und gewährte vorläufig monatliche Leistungen in Höhe von 1.035,10 €. Gegen den Änderungsbescheid vom 10. Februar 2010 erhob der Kläger mit am 1. März 2010 eingegangenem Schreiben vom 27. Februar 2010 ebenfalls Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass Darlehenszinsen lediglich in Höhe von 259,80 € monatlich zu berücksichtigen seien, weil der Kläger im Übrigen lediglich Zinsen bedient habe, welche aus den vorherigen Jahren stammten. Für übrige jährlich anfallende Kosten werde ein monatlicher Betrag von 97,71 € anerkannt. Monatliche Heizkosten seien in Höhe von 130,50 € zu berücksichtigen, dies entspreche dem Höchstsatz von 1,45 € x 90 qm für eine aus vier Personen bestehende Haushaltsgemeinschaft. Der Kläger zahle einen monatlichen Abschlag von 180,00 € an den Energieversorger für Heizgas; hierin seien auch die Kosten der Warmwasserbereitung enthalten, die zur Regelleistung zählten. Insgesamt finde ein Betrag von monatlich 488,10 € als angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung Berücksichtigung. Davon werde bis Ende Dezember 2009 drei Viertel übernommen, weil die weitere Tochter des Klägers, I. (geboren am 8. Juni 1984), noch bei ihren Eltern gewohnt habe und nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gewesen sei.

Am 25. März 2010 hat der Kläger hiergegen Klage bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben und zugleich zahlreiche Unterlagen eingereicht. Er ist der Ansicht, der Beklagte müsse die vollen Hausnebenkosten für das Eigenheim und die gesamten Hypothekenzinsen anerkennen. Ferner seien Leistungen bereits ab dem 01. Juli 2009 zu gewähren.

Mit Verfügung vom 15. Juli 2010 hat die Kammer dem Kläger aufgegeben, die Klage bis zum 15. August 2010 zu begründen. Daran ist mit Verfügungen vom 21. September und 14. Oktober 2010 erinnert worden. Mit gerichtlicher Verfügung vom 05. November 2010 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass nach § 102 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Klage als zurückgenommen gelte, wenn er das gerichtliche Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Gleichzeitig wurde ihm aufgegeben, das Verfahren durch Einreichung einer Klagebegründung zu betreiben. Die gerichtliche Verfügung wurde mit dem vollen Namen der zuständigen Richterin unterzeichnet und ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. November 2010 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Am 16. Februar 2011 hat das SG das Weglegen des Verfahrens verfügt, da das Verfahren durch Zurücknahme (nach Betreibensaufforderung) erledigt worden sei.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Februar 2011 und beantragte, das Verfahren fortzuführen. Nur weil das SG drei Monate nichts von ihm gehört habe, könne das Verfahren noch lange nicht als zurückgenommen gelten. Er habe Wichtigeres zutun, als sich ständig mit dem SG auseinanderzusetzen und sich zu wiederh...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge