Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB 2. Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe gem § 43 StGB

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Aufenthalt eines Arbeitsuchenden in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe führt zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 1 u 2 SGB 2.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 20. Januar 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, mit dem diese die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (ALG II) wegen eines Aufenthaltes des Klägers in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe rückwirkend aufgehoben und überzahlte Leistungen in Höhe von 514,48 € zurückgefordert hat.

Der 1971 geborene Kläger bezog von der Beklagten seit Oktober 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Zuletzt bewilligte die Beklagte ihm mit Änderungsbescheid vom 06.06.2009 ALG II für den Bewilligungszeitraum von 01.07. bis 31.10.2009. Durch eine Aufnahmemitteilung der JVA H. vom 29.09.2009 erhielt die Beklagte davon Kenntnis, dass der Kläger am 27.09.2009 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgenommen worden war. Nach Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe im geschlossenen Vollzug wurde der Kläger am 02.11.2009 entlassen. Nach vorheriger Anhörung (Schreiben vom 06.10.2009) erteilte die Beklagte den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.11.2009, mit dem sie den Bewilligungsbescheid vom 06.06.2009 mit Wirkung ab dem 27.09.2009 rückwirkend aufhob und überzahlte Leistungen für den Zeitraum vom 27.09. bis 31.10.2009 in Höhe von 629,28 € zurückforderte. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe während seines Haftaufenthaltes keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt. Er habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihm zuerkannte Anspruch weggefallen sei (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren [SGB X]). Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die Beklagte insoweit ab, als sie den Erstattungsbetrag im Hinblick auf § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II auf 514,48 € reduzierte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner am 17.11.2009 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II greife in seinem Fall nicht ein. Es fehle an einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung, da für die Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe die Vollstreckungsbehörde zuständig sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2010 hat das Sozialgericht (SG) Bremen die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben, da diese nicht berechtigt gewesen sei, die Leistungsbewilligung nach dem SGB II wegen der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufzuheben. Insoweit hat das SG auf einen Beschluss der 26. Kammer des SG vom 26.06.2009 (S 26 AS 1118/09 ER) und einen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bremen vom 08.04.2009 (S3 K 2721/07) Bezug genommen.

Mit ihrer vom Senat (Beschluss vom 25.03.2010) zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, es erscheine nicht schlüssig, im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II zwischen Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen zu unterscheiden. Auch die Ersatzfreiheitsstrafe stelle eine echte Freiheitsstrafe dar und bedürfe wie jede Art der Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) einer richterlichen Entscheidung. Eine solche richterliche Entscheidung werde stets gleichzeitig mit der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen getroffen, denn damit werde zugleich über die Zulässigkeit der Freiheitsstrafe entschieden, falls die Geldstrafe nicht eingebracht werden könne (§ 43 Strafgesetzbuch - StGB). Die regelmäßig nur kurze Dauer von Ersatzfreiheitsstrafen rechtfertige keine anders lautende Entscheidung, da Grundsicherungsleistungen mit Ausnahme von Krankenhausaufenthalten während des Aufenthaltes in stationären Einrichtungen unabhängig von dessen Dauer ausgeschlossen seien. Soweit die Ersatzfreiheitsstrafe in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 16/1410, Seite 20) nicht erwähnt werde, ergebe sich aus den dortigen Formulierungen, dass die Aufzählung nicht abschließend sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Bremen vom 20.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf aktuelle Beschlüsse des SG Bremen vom 11.03.2010 (S 21 AS 313/10 ER) und vom 13.04.2010 (S 22 AS 673/10 ER).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten sowie die Gerich...

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