Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer während der ersten drei Monate des Aufenthalts. Anwendbarkeit auch bei Nachzug zu einem bereits in Deutschland lebenden Unionsbürger. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss in den ersten drei Monaten des Aufenthalts nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 betrifft auch Familienangehörige, die zu einem bereits in Deutschland lebenden EU-Bürger nachziehen.
2. Der Leistungsausschluss ist mit europäischem Recht und dem Grundgesetz vereinbar.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Leistungsanspruch der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010.
Die 1967 geborene, erwerbsfähige Klägerin ist I. Staatsangehörige. Sie heiratete am 15. Dezember 2009 in J. einen in K. lebenden L. Staatsangehörigen und hält sich nach ihren Angaben seit dem 16. Dezember 2009 dauerhaft in K. auf. Sie ist im Besitz einer Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), welche als Datum der Anmeldung den 25. September 2009 ausweist. Der 1958 geborene Ehemann der Klägerin verfügt über eine im Jahr 1997 ausgestellte unbefristete Aufenthaltserlaubnis und stand bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich als Beklagter bezeichnet) seit dem 1. Januar 2005 im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. In dem hier streitbefangenen Zeitraum übte er keine Erwerbstätigkeit aus. Zuvor hatte er von Oktober 2003 bis Mai 2006 in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und hieraus im Jahr 2005 Nettoeinkommen in Höhe von 160 € (Januar bis Mai, August, September), 64 € (Oktober), 112 € (November) und 128 € (Dezember) erzielt. In den Monaten Juni und Juli 2005 sowie im gesamten Jahr 2006 hatte der Ehemann nach den vorgelegten Unterlagen kein Einkommen aus dieser Tätigkeit bezogen. Das Arbeitsverhältnis endete am 1. Juni 2006.
Auf eine am 8. Januar 2010 eingegangene Veränderungsmitteilung, in der die Klägerin als neues Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angegeben wurde, erteilte der Beklagte einen (offenbar versehentlich) auf den 2. Januar 2010 datierten Bescheid, mit dem die Leistungsgewährung für die Klägerin abgelehnt wurde. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch gab der Beklagte insoweit statt, als er den Leistungsanspruch für die Zeit ab dem 16. März 2010 anerkannte. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Klägerin in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, mithin in der Zeit vom 16. Dezember 2009 bis 15. März 2010, dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II unterliege (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2010).
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Oktober 2010 Klage erhoben, mit der sie ihren Leistungsanspruch für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010 weiter verfolgt hat. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie aufgrund ihrer Eheschließung am 15. Dezember 2009 mit einem seit fast 20 Jahren in K. lebenden L. Staatsangehörigen seit dem Tag ihrer Einreise, dem 16. Dezember 2009, zu dem Personenkreis gehöre, der ALG II-Leistungen beanspruchen könne.
Mit Urteil vom 4. November 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II unterlegen. Nach ihrem eigenen Vortrag sei sie am 16. Dezember 2009 in die Bundesrepublik K. eingereist, so dass der Leistungsausschluss bis zum 15. März 2010 greife. In diesem Zeitraum sei die Klägerin auch weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige tätig gewesen. Auch sei sie nicht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt gewesen. Der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach der genannten Vorschrift nicht für aufenthaltsberechtigte Familienangehörige gelte, die zu im Bundesgebiet schon seit mehr als drei Monaten aufenthaltsberechtigten Ausländern einreisten, folge die Kammer nicht.
Gegen das ihr am 6. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 2011 Berufung eingelegt, mit der sie ihr bisheriges Begehren weiter verfolgt.
Sie beantragt,
1. das Urteil des SG Bremen vom 4. November 2011 aufzuheben,
2. den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 2. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2010 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 8. Januar bis 15. März 2010 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage z...