Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Alleingesellschafter und Geschäftsführer. Ein-Personen-UG. Erbringung von Beratungs- und Handelsvertreterleistungen sowie leitende Marketing- und Vertriebstätigkeiten auf der Basis eines Vertrags über freie Mitarbeit mit einer GmbH. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Orientierungssatz
Die hier bestehende schriftliche Vereinbarung (Vertrag über freie Mitarbeit) zwischen einer Ein-Personen-UG und einer GmbH (beide juristische Personen) verbietet nicht per se die Prüfung der Beziehung zwischen der GmbH und dem Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Ein-Personen-UG in ihrer konkreten Ausgestaltung. Allein der rein formale Akt der Gründung einer juristischen Person des Privatrechts - hier in Form einer Ein-Personen-UG - kann allenfalls ein gegen ein Beschäftigungsverhältnis sprechender Anhaltspunkt sein und gerade nicht dazu führen, dass Rechtsverhältnisse der juristischen Bewertung entzogen sind mit der Folge, dass womöglich die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungspflichtbeiträgen umgangen wird. Diese Sichtweise führt auch nicht zu einer „Verschmelzung“ von natürlicher und juristischer Person, wenn mehrere Rechtssubjekte beteiligt und mehrere Funktionen in ein und derselben natürlichen Person zusammentreffen (hier: der Beigeladene in seiner Funktion als Gesellschafter-Geschäftsführer einerseits und als von der UG eingesetzter Dienstleister andererseits) (anderer Auffassung LSG Potsdam vom 5.11.2021 - L 26 BA 6/20).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 31. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, der seine Kosten selbst zu tragen hat.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene bei seinen in der Zeit vom 15. April 2015 bis 30. April 2017 für die J. GmbH verrichteten Tätigkeiten der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die J. GmbH in ihrer früheren Form (im Folgenden: Rechtsvorgängerin der Klägerin), für die der Beigeladene im o. g. Zeitraum seine Leistungen erbrachte, wurde mit Satzung vom 6. Mai 2009 gegründet (Handelsregister des Amtsgerichts K. - HRB 201986). Unternehmensgegenstand war die Produktion, das Marketing und der Vertrieb von Fotoprodukten und alle damit zusammenhängende Tätigkeiten, die keiner Erlaubnispflicht unterliegen. Auf Grundlage eines Verschmelzungsvertrags sowie der entsprechenden Zustimmungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlungen jeweils vom 15. Dezember 2021 verschmolz die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit ihrer Schwestergesellschaft - der L. GmbH (Handelsregister des Amtsgerichts K. - HRB 201986). Übernehmende Gesellschaft war die L. GmbH (Verschmelzungsvertrag vom 15. Dezember 2021). Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 16. Februar 2022 wurde der Firmenname „L. GmbH“ in „J. GmbH“ geändert (Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 16. Februar 2022). Alleingesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war zugleich der Alleingesellschafter und alleinige Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Klägerin.
Der 1968 geborene Beigeladene gründete mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom 1. Oktober 2014 eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Sinne einer Unternehmergesellschaft unter dem Firmennamen „M. - Agentur für Marketing, Vertrieb, Kommunikation & PR UG (haftungsbeschränkt)“ (im Folgenden: UG) und bestellte sich zugleich zu deren alleinigen Geschäftsführer (Eintragung im Handelsregister am 9. Oktober 2014, Handelsregister B des Amtsgerichts N. - HRB 15010). Hintergrund für die Errichtung der UG war nach eigenen Angaben des Beigeladenen die Sicherung von Vertriebsrechten für eine Fototasche für professionelle Fotografen. Seit Gründung war die Ehefrau des Beigeladenen sowie ab November 2015 ein weiterer Mitarbeiter auf geringfügiger Basis bei der UG beschäftigt. Mit Gesellschafterbeschluss vom 10. Juni 2016 wurde die Ehefrau des Beigeladenen zur weiteren Geschäftsführerin (ohne Kapitalbeteiligung) bestellt (Eintragung im Handelsregister am 25. Juli 2016, Handelsregister B des Amtsgerichts N. - HRB 15010). Mit notariellem Vertrag vom 26. April 2018 veräußerte der Beigeladene sämtliche Geschäftsanteile an seine Ehefrau. Zugleich wurde er als Geschäftsführer abberufen (Eintragung im Handelsregister am 24. Mai 2018, Handelsregister B des Amtsgerichts N. - HRB 15010). Seither führt die Ehefrau des Beigeladenen als Alleingesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin die Gesellschaft fort. Gegenstand des Unternehmens war von Beginn an das Vertreiben und Bewerben von Konsumgütern speziell aus dem Bereich Fotografie und Sport, im Bereich Sport außerdem die weltweite Vermarktung eines patentierten Fußball-Train...