Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei dauerhafter Ablehnungsentscheidung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Unzumutbarkeit der Ausreise. Inlandsintegration. keine Trennung der Eltern von minderjährigem Kind. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Zur Frage eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung im Bereich des AsylbLG unter Würdigung der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 9b AY 1/06 R = SozR 4-3520 § 2 Nr 1).
2. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthaltes eines Ausländers liegt vor, wenn er in Deutschland verbleibt, obwohl ihm die Ausreise möglich und zumutbar wäre (vgl BSG aaO).
3. Die freiwillige Rückkehr des Leistungsberechtigten in sein Heimatland Kosovo ist nicht bereits aufgrund der dortigen Verhältnisse unzumutbar.
4. Die freiwillige Rückkehr in das Kosovo ist aufgrund fortgeschrittener Integration in die deutsche Gesellschaft jedenfalls dann unzumutbar, wenn die Ausländerbehörde dem Ausländer eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG 2004 erteilt hat.
5. Zur Inlandsintegration von minderjährigen ausländischen Kindern, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurden und die Aufgaben für die soziale Gemeinschaft innerhalb der Schule bzw im örtlichen Sportverein wahrnehmen, soweit keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihnen die bisher eingeschlagene Schulausbildung keine selbstständige wirtschaftliche Existenz ermöglichen wird.
6. Eine Trennung ausländischer Eltern von ihren minderjährigen Kindern ist mit Rücksicht auf das familiäre Zusammenleben unzumutbar; spätestens der gewährte ausländerrechtliche Aufenthaltsstatus gem § 104a AufenthG 2004 erlaubt einen Rückgriff auf die familiären Schutzwirkungen von Art 6 GG.
7. Zu den Anforderungen an die wirtschaftliche Integration bei geduldeten Ausländern, die ihre minderjährigen Kinder betreuen.
8. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise sind im Asylbewerberleistungsrecht weniger strenge Anforderungen zu stellen, als es das Ausländerrecht vorsieht (vgl LSG Stuttgart vom 22.11.2007 - L 7 AY 4504/06).
9. Im Rahmen des § 2 Abs 1 S 1 AsylbLG ist nur solches rechtsmissbräuchliches Verhalten relevant, das sich im Einzelfall konkret und kausal verlängernd auf die Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ausgewirkt hat. Hierbei ist das Verhalten des Ausländers ab Einreise und während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten (vgl LSG Celle-Bremen vom 16.10.2007 - L 11 AY 50/06).
10. Das kausale, vorwerfbare Verhalten muss im streitgegenständlichen Leistungszeitraum noch fortwirken (vgl LSG Celle-Bremen aaO) (hier: keine leistungsrechtlichen Auswirkungen der unzutreffende Angaben zur Ethnie wegen fortgeschrittener Integration).
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. November 2006, der Bescheid vom 30. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2005 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 16. Oktober 2007 Leistungen gemäß § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen gemäß § 2 Abs 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ab 1. Dezember 2005 bis 16. Oktober 2007.
Die Kläger sind Eheleute und haben die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit. Der Kläger zu 1. wurde am K., die Klägerin zu 2. am L. im ehemaligen Jugoslawien geboren. Im Jahre 1991 reisten sie in die Bundesrepublik ein und halten sich seit diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet auf. Die Kläger sprechen die deutsche Sprache ohne Verständigungsschwierigkeiten. Der Kläger pflegt soziale Kontakte im Rahmen des nachbarschaftlichen Verhältnisses. Die Klägerin hat wenige soziale Kontakte nach außen. Sie nimmt nicht am gesellschaftlichen Leben teil und ist ganz überwiegend zu Hause. Die Kläger haben acht gemeinsame Kinder. Die sechs ältesten Kinder sind volljährig. Sie wurden im ehemaligen Jugoslawien geboren. Alle volljährigen Kinder sind in Deutschland erwerbstätig und haben teilweise eigene Familien; bis auf M., die eine Zahnarztausbildung begonnen hat und die sie fortsetzen möchte. M. ist verheiratet und wird voraussichtlich in N. leben. Zwei volljährige Kinder arbeiten als Vollzeitkraft bei O. in P.. Eine weitere volljährige Tochter hat nach dem Absolvieren der zweijährigen Hauswirtschaftsschule eine Vollzeittätigkeit bei Q. in P. aufgenommen.
Die beiden jüngsten minderjährigen Kinder R. und S. wurden im Jahre 1992 bzw 1993 in P. geboren. Sie besuchen die T. bzw die U. in P.. Der Schulbesuch wird voraussichtlich am 31. Juli 2008 bzw. am 31. Juli 2009 enden (Schulbescheinigunge...