Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenübernahme einer Nadelepilation durch eine Elektrologistin/Kosmetikerin. richterliche Rechtsfortbildung
Orientierungssatz
1. Die gesetzlichen Krankenkassen haben die Kosten einer Nadelepilation der verbliebenen grauen Barthaare nach einer Geschlechtsumwandlung durch eine Elektrologistin/Kosmetikerin nicht zu übernehmen.
2. Eine bestehende Versorgungslücke kann auch nicht durch die Leistungserbringung eines Nichtarztes im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschlossen werden.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. September 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Nadelepilation zur Entfernung der Barthaare durch eine qualifizierte Kosmetikerin/Elektrologistin.
Die Klägerin ist 1972 als Mann geboren und war seit Juli 2015 wegen einer Geschlechtsidentitätsstörung mit transsexueller Ausprägung in psychotherapeutischer Behandlung. Die medizinische Diagnose „Transsexualität“ und die daraus resultierende medizinische Notwendigkeit von geschlechtsangleichenden Maßnahmen sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Seit Oktober 2015 unterzieht sich die Klägerin einer Hormontherapie. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 18. Mai 2016 wurde ihr Vorname abgeändert und festgestellt, dass sie weiblichen Geschlechts ist. Anfang Dezember 2018 erfolgte die geschlechtsumwandelnde Operation in den Kliniken J.
Im Juli 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Epilationsbehandlung der Barthaare. Sie legte das ärztliche Attest der Gemeinschaftspraxis Dres K. vom 26. Juli 2017 vor, wonach durch die Nadelepilation zur Barthaarentfernung ein deutlich verschlechtertes entzündliches Hautbild entstanden sei. Aktuell bestehe eine antibiotisch behandelte Follikulitis barbae. Aus medizinischen Gründen werde dringend ein Wechsel zur schonenderen Laserepilation geraten. In seinem Gutachten vom 10. August 2016 gab der MDK keine Empfehlung für eine Laserepilation. De facto gehöre die Laserbehandlung zur Enthaarung nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Mit Bescheid vom 27. September 2016 bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für die Laserepilation. Die Bewilligung umfasse zwölf Behandlungen. Die Abrechnung habe über den einfachen Satz der GOÄ-Ziffer 2886 durch Herrn Dr L., M. Klinik, zu erfolgen. Die Zusage gelte längstens für sechs Monate; ein Rechtsanspruch könne aus der Zusage nicht abgeleitet werden. Im Telefonat vom 18. Januar 2017 erklärte die Klägerin, dass sie inzwischen auch graue/weiße Barthaare habe, die mit einem Laser nicht entfernt werden könnten. Sie möchte die Nadelepilation nicht durch einen Arzt vornehmen lassen und beantrage deshalb die Kostenübernahme für die Nadelepilation durch eine Kosmetikerin/Elektrologistin.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2017 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da Kosmetiker und Kosmetikerinnen nicht berechtigt seien, ihre Leistungen über die gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Mit ihrem Widerspruch wandte die Klägerin ein, dass es ihr trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen sei, eine vertragsärztliche Praxis zu finden, in der die von ihr beantragte Leistung in zumutbarer Weise (ortsnah) zu erlangen sei. Es bestehe daher eine generelle Versorgungslücke. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Einer Kostenübernahme für Behandlungen durch Kosmetikerinnen/Elektrologisten stünden nicht nur gesetzliche Vorschriften entgegen, sondern auch die ständige Rechtsprechung von Bundesozialgericht (BSG) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Beim Beruf der Kosmetikerin/Elektrologistin handele es sich nicht um ein in der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Leistungserbringung zugelassenes Berufsbild. Dort gelte der Arztvorbehalt. Eine Nadelepilationsbehandlung sei Bestandteil des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) nach § 87 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und stelle eine ärztliche Behandlung dar, die Personen mit Approbation als Arzt vorbehalten sei.
Die Klägerin hat am 16. März 2018 Klage beim Sozialgericht Hannover (SG) eingelegt und Kostenübernahme für eine Nadelepilation zur Entfernung der grauen Barthaare durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin beantragt. Die noch verbliebenen grauen Barthaare könnten nur durch eine Elektronadelepilation beseitigt werden. Sie hat die ärztliche Bescheinigung „Kostenvoranschlag Elektroepilation“ des Hautarztes Dr N. vom 18. Mai 2016 vorgelegt. Danach fanden sich zahlreiche dunklere Haare an Kinn und Oberlippe sowie eine geringere Anzahl hellerer Haare an den Wangen. Eine elektrokaustische Epilationsbehandlung sei in der Praxis durch eine Dermatokosmetikerin möglich. Wegen des nicht unbeträchtlichen Arbeitsaufwands sei...