Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit bei einer ärztlichen Notrufhotline. Bereitschaftsdienst im häuslichen Umfeld. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Heranziehung von Ärzten im Rahmen einer Hotline zur Beantwortung von medizinischen Anfragen kann auch dann im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse erfolgen, wenn die Auskunft gebenden Ärzte die jeweils übernommenen Bereitschaftsdienste in ihrem häuslichen Umfeld verrichten.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 27. August 2020 geändert.

Unter Abweisung der Klagen im Übrigen werden die Bescheide der Beklagten vom 28. Dezember 2015 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 29. Dezember 2016 aufgehoben, soweit eine Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 1/6 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. aus beiden Rechtszügen; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Aufhebung ihrer im Statusfeststellungsverfahren gemäß §7a SGB IV a.F. getroffene Feststellung einer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegenden abhängigen Beschäftigung zwischen der Klägerin zu 1. als Arbeitnehmerin und der Klägerin zu 2. als Arbeitgeberin.

Die Klägerin zu 2. bietet in der Rechtsform einer GmbH insbesondere Unterstützungsleistungen unter Einschluss einer rund um die Uhr erreichbaren sog. ärztlichen Notrufhotline namentlich auch für Taucher an. Diese Hotlineberatung ist eingebettet in ein Unterstützungspaket, welches auch eine Auslandsreisekrankenversicherung, eine Betreuung im Krankheitsfall unter Einschluss einer erforderlich werdenden Organisation einer Krankenhausbehandlung und die Durchführung ggfs. erforderlicher Rücktransporte umfasst (vgl. auch Bl. 597 GA). Für die Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen im Bedarfsfall zahlen die Kunden der Klägerin zu 2. Pauschalbeträge (nach Angaben der Klägerin zu 2. in Höhe von 49 € im Jahr).

Geschäftsführer der Klägerin zu 2. sind E. und F.. Letzterer ist seit 25 Jahren auf der Grundlage spezifischer medizinischer Fachkunde insbesondere in den Bereichen Notfall-, Assistance-, Tropen- und Tauchmedizin ist Assistancearzt beruflich tätig.

Um die fortlaufende Erreichbarkeit der ärztlichen Hotline zu gewährleisten, hat die Klägerin zu 2. mit Ärzten mit der erforderlichen tauchmedizinischen Erfahrung Vereinbarungen abgeschlossen, wonach diese schichtweise - im Regelfall von ihrer häuslichen Umgebung, mitunter auch aus ihrem anderweitigen dienstlichen Umfeld aus - telefonisch erreichbar sind und während der jeweils übernommenen Schichten bei der Hotline eingehende telefonischen medizinische Anfragen der Kunden der Klägerin zu 2. sowie entsprechende per Email übermittelte Anfragen beantworten. Diese diensthabenden Ärzte greifen jeweils über einen Onlinezugang auf die Datenbanken der Klägerin zu 2. zu.

Für jede Schicht werden nach Angaben der Klägerin zu 2. üblicherweise jeweils zwei Ärzte eingeteilt, um eine lückenlose Erreichbarkeit weitestmöglich sicherzustellen (Bl. 58 GA; die von ihr auf Aufforderung des Senates vorgelegten konkreten Schichtpläne, vgl. etwa Bl. 398 ff. GA, bringen eine solche Doppelbesetzung allerdings nicht zum Ausdruck).

Bei entsprechenden telefonischen Anfragen meldet sich der jeweilige Arzt unter Hinzufügung seines eigenen Namens mit dem Namen der Klägerin zu 2. (Bl. 20 GA S 53 R 26/17).

Die entsprechenden Schichtpläne (die Klägerin zu 2. verwendet inzwischen den Begriff „Erreichbarkeitsplan“) werden jeweils im Voraus in Absprache und unter Berücksichtigung der anderweitigen terminlichen Verpflichtungen der an der Hotline teilnehmenden Ärzte und Ärztinnen von der Klägerin zu 2. aufgestellt. Aus dem „Pool“ der an der Hotline teilnehmenden (und über entsprechende zeitliche Freiräume verfügenden) Ärzte werden von der „Bremer Zentrale“ der Klägerin zu 2. jeweils freitags für die folgende Woche die diensthabenden Ärzte eingeteilt (Bl. 58, 598 GA).

Dabei wird von Seiten der Klägerin zu 2. eine „hohe primäre Annahmequote“ (so die Formulierung der Klägerin zu 1. im Schreiben vom 14. Dezember 2015, Bl. 149 VV) in dem Sinne gewünscht, dass telefonische Kundenanfragen an den jeweils diensthabenden Hotlinearzt durchgestellt werden können. Für den Fall, dass dies ausnahmsweise nicht in Betracht kommt, etwa, weil dieser etwa bereits mit einem anderen Kunden telefoniert, wird der Versuch unternommen, den Anruf an einen anderen Hotlinearzt weiterzuleiten. Ansonsten sind entgangene Anrufe möglichst nachzuverfolgen.

Die telefonischen Beratungen sind von den Ärzten in den Datenverarbeitungsanlagen der Klägerin zu 2. zu dokumentieren. Insbesondere sind nicht abgeschlossene Beratungen vor Dienstende so in der Datenbank zu dokumentie...

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