Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Vorsteher von Wasser- und Bodenverbänden. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Die Vorsteher von Wasser- und Bodenverbänden nehmen ihre Tätigkeit im Rahmen abhängiger und der Sozialversicherungspflicht unterliegender Beschäftigungsverhältnisse wahr, wenn diese durch ihre Eingliederung in den arbeitsteiligen Arbeitsprozess geprägt wird und das Entgelt sich als Entlohnung für die zu erbringenden Arbeitsleistungen darstellt.
Tenor
Auf die Berufungen der Klägerinnen wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 2. März 2022 geändert.
Der an die Klägerin zu 2) gerichtete Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 5. Juli 2018 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2019 wird hinsichtlich der Festsetzung von Säumniszuschlägen aufgehoben.
Der an die Klägerin zu 1) gerichtete Bescheid vom 4. Mai 2023 in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Richtigstellung wird aufgehoben, soweit Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Umlagen und Säumniszuschläge festgesetzt worden sind.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen und die Berufungen zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zu 2) zu einem Sechstel und die Beklagte zu fünf Sechstel, die Beklagte trägt ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) aus beiden Rechtszügen sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) aus beiden Rechtszügen in voller Höhe.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen wenden sich gegen die auf der Grundlage von Betriebsprüfungen nach § 28p SGB IV erlassenen Beitragsnacherhebungsbescheide, mit denen sie zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit ihrer jeweiligen Verbandsvorsteher herangezogen werden sollen.
Die Klägerinnen sind als Wasser- und Bodenverbände - und damit nach der Legaldefinition des § 63 NWG als Unterhaltungsverbände - für die Unterhaltung jeweils von Abschnitten der B., eines Gewässers zweiter Ordnung im Sinne von § 39 NWG, zuständig. Die Klägerin zu 1. bildet den Unterhaltungsverband Mittlere B. und die Klägerin zu 2. den Unterverband Obere B.. Die Klägerinnen werden unter Ziffern 64 und 65 in dem als Anlage 4 in das NWG aufgenommene Verzeichnis der niedersächsischen Unterhaltungsverbände geführt.
Die Satzungen der Klägerinnen (vgl. wegen der weiteren Einzelheiten die Abdrucke der im Prüfzeitraum maßgeblichen Satzungsfassungen auf Bl. 79 ff. der die Klägerin zu 1. betreffenden Verwaltungsvorgänge sowie auf Bl. 15. ff. der die Klägerin zu 2. betreffenden Verwaltungsvorgänge) sehen als Organe jeweils einen Vorstand und einen Verbandsausschuss vor. Die Mitglieder des Verbandsausschusses werden von den Verbandsmitgliedern gewählt. Der Verbandsausschuss nimmt insbesondere die Wahl und Abberufung der Vorstandsmitglieder vor, er setzt den Haushaltsplan fest (vgl. jeweils § 10 Nr. 5 der Satzungen der Klägerinnen, wobei allerdings jeweils § 19 derselben Satzung die Aufstellung des Haushaltsplans zu den Aufgaben des Vorstandes zählt) und entscheidet insbesondere über die Grundsätze der Geschäftspolitik.
Dem Vorstand obliegen alle Geschäfte, zu denen nicht durch Gesetz oder Satzung der Verbandsausschuss berufen ist (vgl. jeweils § 19 der Satzungen der Klägerinnen).
Aus der Mitte der gewählten ordentlichen Vorstandsmitglieder wählt der Verbandsausschuss den Verbandsvorsteher und dessen Stellvertreter. Dem Vorsteher obliegen alle Geschäfte im Rahmen des Beschlusses des Verbandsausschusses über die Grundsätze der Geschäftspolitik (vgl. jeweils § 22 Abs. 1 der Satzungen der Klägerinnen; vgl. aber auch die bereits erläuterte Aufgabenzuweisung an den Vorstand jeweils unter § 19 derselben Satzung).
Der Verbandsvorsteher ist Dienstvorgesetzter aller Dienstkräfte des Verbandes (vgl. jeweils § 22 Abs. 3 der Satzungen der Klägerinnen). Die Vorstandsmitglieder sind - ebenso wie die Ausschussmitglieder - nach der Satzung ehrenamtlich tätig; wobei der Verbandsvorsteher eine „jährliche Aufwandsentschädigung“ erhält (vgl. jeweils § 26 der Satzungen der Klägerinnen).
Im Prüfzeitraum 2013 bis 2016 war zum Verbandsvorsteher der Klägerin zu 1. der Beigeladene zu 1. und zum Verbandsvorsteher der Klägerin zu 2. der Beigeladene zu 5. gewählt worden. Die Beigeladenen zu 1. und 5. üben, wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, auch weiterhin das Amt des Verbandsvorstehers aus.
Die Höhe der jährlichen Aufwandsentschädigungen des Beigeladenen zu 1. belief sich auf 12.000 € in den Jahren 2013 und 2014 und auf 15.600 € in den Jahren 2015 und 2016. Bei dem Beigeladenen zu 2. beliefen sich diese Beträge auf 6.391,68 € in den Jahren 2013 und 2014 sowie auf 12.000 € in den beiden nachfolgenden Jahren.
Im Prüfzeitraum 2013 bis 2016 war bei der Klägerin zu 1. die Ingenieurin M. mit einer durchschnittlichen wöchentlich...