Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. ergänzendes Tagesentgelt ET0203 gem Anlage 5 des Pauschalierenden Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP-Entgeltsystem) 2018. Merkmale des hierfür erforderlichen OPS (2018) 9-619. Notwendigkeit des Einsatzes von individuellen präventiven und/oder reaktiven Sicherungsmaßnahmen. kein Ausreichen der bloßen Unterbringung in einer geschlossenen gerontopsychiatrischen Station. Erforderlichkeit einer patientenindividuelle Maßnahme. ärztliche Anordnung. sozialrechtliche Dokumentation. Ersetzung durch Unterbringungsbeschluss
Leitsatz (amtlich)
Das Merkmal des OPS 9-619 Notwendigkeit des Einsatzes von individuellen präventiven und/oder reaktiven Sicherungsmaßnahmen ist nicht bereits durch die Unterbringung in der geschlossenen Station eines psychiatrischen Krankenhauses erfüllt.
Orientierungssatz
1. Allein der Aufenthalt in der geschlossenen Abteilung erfüllt nicht das Intensivmerkmal "Anwendung von Sicherungsmaßnahmen" des OPS-Kodes, weil der Aufenthalt als solcher nicht patientenindividuell ist, wobei individuell nach seinem Wortsinn "auf die einzelne Person zugeschnitten" bedeutet.
2. Sofern die Behandlung auf der geschlossenen gerontopsychiatrischen Station mit Unterbringungsbeschluss als Anwendung einer individuellen Sicherungsmaßnahme interpretiert wird, begegnet die fehlende (sozialrechtliche) Dokumentation einer entsprechenden ärztlichen Anordnung Bedenken.
3. Nach dem Wortlaut des OPS ist das Merkmal "Anwendung von Sicherungsmaßnahmen" nur erfüllt, wenn diese ärztlich angeordnet sind.
4. Auch wenn die erstmalige ärztliche Anordnung durch den Unterbringungsbeschluss ersetzt würde, so müsste doch der Einsatz von individuellen Sicherungsmaßnahmen über 28 Tage ärztlich angeordnet werden.
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 31. März 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert im Berufungsverfahren wird auf 1.196,16 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vergütung der ergänzenden Tagesentgelte ET0203, die durch Kodierung des OPS-Kodes 9-619 (Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei erwachsenen Patienten mit 3 Merkmalen ) auslöst werden. Im Streit steht das Intensivmerkmal „Anwendung von Sicherungsmaßnahmen“.
Die 1939 geborene Versicherte J. wurde vom 4. Juni bis 12. Juli 2018 auf der beschützend geführten gerontopsychiatrischen Station (geschlossene Station) der Klägerin wegen fortgeschrittener Demenz im Zuge einer Alzheimer Erkrankung behandelt. Die Aufnahme erfolgte notfallmäßig nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) und § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen akuter Eigen- und Fremdgefährdung aufgrund eines Delirs bei Demenz. Am 12. Juli 2018 wurde die Versicherte auf Veranlassung ihres vorsorgebevollmächtigten Ehemannes in eine beschützend geführte Pflegeeinrichtung entlassen.
Der Landrat des Landkreises K. ordnete am 7. Juni 2018 die vorläufige Einweisung der Versicherten gemäߧ 18 NPsychKG in den abgeschlossenen Teil des Psychiatriezentrums der Klägerin an. Die Voraussetzungen des§ 16 NPsychKG seien durch das beiliegende ärztliche Zeugnis nachgewiesen. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie L. vom 7. Juni 2018 befand sich die Versicherte seit dem 4. Juni 2018 in der Klinik für Gerontopsychiatrie der Klägerin; eine schwere Demenz war als Hauptdiagnose gesichert. In der Klinik zeigte sich weiterhin eine schwere delirante Symptomatik mit dem Drang, die Station ohne Absprache zu verlassen. Der Realitätsbezug der Versicherten war erheblich eingeschränkt, sie irrte orientierungslos und unruhig auf Station herum und beging schwere Fehlhandlungen. Eine akute Eigengefährdung ergab sich durch die starken Verwirrtheitszustände, die mit Fehlhandlungen und Weglauftendenzen verbunden waren. Aufgrund dessen sei eine geschlossene Unterbringung dringend indiziert.
Mit Beschluss vom 8. Juni 2018 ordnete das Amtsgericht K. - Betreuungsgericht - im Wege der einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Versicherten in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses längstens bis zum 5. Juli 2018 an. Zur Begründung für die Erforderlichkeit einer sofortigen Unterbringung folgte das Gericht dem ärztlichen Zeugnis des Facharztes für Psychiatrie L. vom 7. Juni 2018. Mit Beschluss vom 3. Juli 2018 genehmigte das Betreuungsgericht auf Antrag des Vorsorgebevollmächtigten die vorläufige Unterbringung der Versicherten in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens zum 14. August 2018.
Mit Schlussrechnung vom 16. August 2018 liquidierte die Klägerin die (unstreitige) Fallpauschale PEPP PA15B (organische Störung, amnestisches Syndrom, Alzheimer-Krankheit und sonstige degenerative Krankheiten des Nervensystems, mit bestimmten Demenzerkrankungen oder mit komplizierend...