Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsvertrag ab 1.4.2005. Rechtmäßigkeit. Bildung arztgruppeneinheitlicher Regelleistungsvolumen. Verteilung der Gesamtvergütung. Honorarverteilungsvertrag. Gestaltungsspielraum. Arztgruppenspezifische Grenzwerte. Unterteilung homogener Arztgruppen. Binnendifferenzierung. Regelleistungsvolumen
Leitsatz (amtlich)
Der niedersächsische Honorarverteilungsmaßstab für 2005 verletzt höherrangiges Recht, weil die dort enthaltene Festlegung von Untergruppen bisher durchschnittlich bzw über- oder unterdurchschnittlich abrechnender Ärzte nicht der verbindlichen Vorgabe arztgruppeneinheitlicher Regelleistungsvolumen entspricht.
Normenkette
SGB V § 85 Abs. 4 Sätze 7-8, 10
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 15. September 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2006 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, über den Honoraranspruch des Klägers im Quartal II/2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe vertragsärztlichen Honorars im Quartal II/2005.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) teil.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 setzte die Beklagte das auszuzahlende Honorar des Klägers im Quartal II/2005 auf 60.519,14 Euro fest. Grundlage hierfür war der zwischen der Beklagten und den Krankenkassen (KKen) bzw ihren Verbänden vereinbarte und zum 1. April 2005 in Kraft getretene Honorarverteilungsvertrag (HVV). Dieser sah in Anl 2 die Einführung von Regelleistungsvolumen (RLV) in Form arztgruppenspezifischer Grenzwerte vor, bis zu denen die von einer Arztpraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum im jeweiligen Kalendervierteljahr erbrachten ärztlichen Leistungen mit einem von den Vertragspartnern des HVV vereinbarten festen Punktwert zu vergüten sind.
Nach § 3 Abs 2 Nr 2 der Anl waren für die darin genannten Arztgruppen mit mehr als 20 Mitgliedern jeweils drei Untergruppen mit unterschiedlichen Fallpunktzahlen (FPZ) zur Berechnung der RLV zu bilden. Maßstab für die Bestimmung der FPZ war der durchschnittliche Fallwert einer Arztpraxis in Punkten für RLV-relevante Leistungen in den Referenzquartalen III/2003 bis II/2004. Arztpraxen mit Fallwerten von bis zu 15 % über bzw unter dem Arztgruppendurchschnitt bildeten die Untergruppe 2 (U2), Arztpraxen mit höheren Fallwerten die Untergruppe 3 (U3) und die Praxen mit niedrigeren Fallwerten die Untergruppe 1 (U1). Für die Fachgruppe des Klägers (Fachärzte für Innere Medizin mit Versorgungsschwerpunkt Pneumologie) ergab dies je nach Alter der Patienten folgende FPZ:
Untergruppe 1 = 654,0/1.097,8/1.224,9
Untergruppe 2 = 761,3/1.305,6/1.389,2
Untergruppe 3 = 766,2/1.366,0/1.481,6.
Ergänzend hierzu sah der HVV in Anl 3 Regelungen für die Verteilung der begrenzten Gesamtvergütung vor. Nach § 14 der Anl waren die Leistungen des RLV mit einem Regelleistungspunktwert von 3,4424 Cent zu vergüten. Hingegen konnten die das RLV überschreitenden Leistungen mit einem abgesenkten Punktwert vergütet werden, mindestens aber mit 0,1 Cent. Weiter war in § 14 Abs 3 der Anl geregelt, dass - soweit das Honorarkontingent einer Fachgruppe nicht ausreicht, um den Regelleistungspunktwert und die übrigen im HVV vorgesehenen Mindestpunktwerte auszahlen zu können - eine gleichmäßige Quotierung der für diese Leistungsbereiche ursprünglich anerkannten Punktzahlanforderungen erfolgt, bis die jeweiligen Punktwerte erreicht werden.
Der Widerspruch des Klägers gegen den auf dieser Grundlage für das Quartal II/2005 erlassenen Honorarbescheid - im Wesentlichen gerichtet gegen die Einführung von Untergruppen mit unterschiedlichen FPZ zur Berechnung des RLV - blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14. März 2006).
Der Kläger hat am 3. April 2006 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und dort geltend gemacht, die Vorgaben im HVV der Beklagten verstießen gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Die mit der Untergruppenbildung verbundenen unterschiedlichen FPZen für Fachärzte der gleichen Fachausrichtung seien sachlich nicht zu rechtfertigen und daher unzulässig. Hinzu komme, dass der HVV der Beklagten eine einheitliche Fallzahlzuwachsbegrenzungsregelung enthalte, sodass diejenigen Fachärzte, denen - wie der Kläger - aufgrund der Einstufung in die Untergruppe 1 die niedrigsten FPZen zugebilligt würden, benachteiligt seien. Dies sei mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Möglichkeit von Fallzahlsteigerungen unterdurchschnittlich abrechnender Arztpraxe...