Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Colitis ulcerosa. Kräfte- und Ernährungszustand. Übergewicht. starke Gewichtszunahme aufgrund einer jahrelangen Cortisontherapie
Orientierungssatz
Beim Merkmal des "Kräfte- und Ernährungszustands" im Rahmen der Bewertung einer Colitis ulcerosa nach Teil B Nr 10.2.2 VMG (Anlage zu § 2 VersMedV) kann zu berücksichtigen sein, dass möglicherweise auch eine langjährige Cortisontherapie zu starker Gewichtszunahme führt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kostendes Widerspruchsverfahrens, im Übrigen keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 statt 40 und mithin der Schwerbehinderteneigenschaft.
Am 13. Januar 2017 stellte die 1966 geborene Klägerin einen Erstfeststellungsantrag beim Beklagten, der den Ausgangspunkt des hier anhängigen Rechtsstreits bildet. Ihre führende Erkrankung stellt eine Colitis ulcerosa dar, eine Darmerkrankung, aufgrund derer sie zur Zeit der Antragstellung seit ca. 20 Jahren an Durchfällen litt und wegen der sie seit Jahren eine Cortisontherapie erhalten hatte. Nach einem Bericht des Klinikums J. vom 1. Februar 2015 hatte die Klägerin dort angegeben, im Laufe der Jahre hätten Schubfrequenz und Intensität zugenommen, derzeit komme es im Jahr zu bis zu sechs akuten Schüben mit einer Dauer von jeweils bis zu drei Wochen und während eines Schubes zu Blähungen, Bauchkrämpfen, Fieber und Schlafstörungen. Blähungen und empfindliche Verdauung bestünden auch in Phasen der Remission. Der Allgemeinzustand der Klägerin wurde indes als gut beschrieben. Eine von Dr. K. am 25. Mai 2016 durchgeführte Koloskopie ergab einen Befall des gesamten Darmes, im Rektum weniger, mit Geschwürbildungen bei mäßiggradigerer, z. T. deutlich florider entzündlicher Aktivität gemäß einem pathologischen Bericht des Dr. L. vom 26. Mai 2016. Er verwies auf eine identische, vielleicht minimal erhöhte Aktivität verglichen mit einem Vorbefund aus 2012.
Ferner bestand eine Lungenfunktionseinschränkung (allergisches Asthma bronchiale mit geringer zentraler Obstruktion und grenzwertiger Restriktion gemäß Bericht des Klinikums J. vom 7. November 2016), welche der Ärztliche Dienst des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete. Der vorausgegangene zweiwöchige Klinikaufenthalt hatte zu einer Reduktion der Stuhlfrequenz geführt, außerdem hatte die Klägerin bei Entlassung nach diesem Bericht angegeben, „deutlich mehr Energie zu haben“. Hinsichtlich der chronischen Darmentzündung schlug der Ärztliche Dienst einen Einzel-GdB von 30 vor, der gemäß Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 ab Antragstellung entsprechend festgestellt wurde.
Die Klägerin legte Widerspruch ein und berief sich auf tägliche Durchfälle, starke Bauchschmerzen, Schlafstörungen und Kräfteverfall. Sie sei nur noch jeden zweiten Tag arbeitsfähig. Ergänzend legte sie einen Bericht ihrer Hausärztin M. vom 3. März 2017 bei. Hiernach habe sich die Allgemeinsituation der Klägerin aufgrund von zunehmenden Infekten und längerer Dauer der Schübe der Colitis verschlechtert. Verschiedene Therapieoptionen hätten bereits versagt. Der Ärztliche Dienst schlug nunmehr die Anhebung des GdB hinsichtlich der chronischen Darmentzündung auf 40 vor, während die Schwerbehinderteneigenschaft nicht erreicht werde, was sich u. a. auch aus einem Bericht des Klinikums J. vom 7. November 2016 ergebe. Hiernach sei die Entlassung aus der vom 24. Oktober bis 6. November 2016 dauernden stationären Behandlung in deutlich gebessertem Zustand erfolgt. Der Beklagte half dem Widerspruch gemäß Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 insoweit ab, als der GdB ab Antragstellung 40 betrage, und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Die Klägerin hat am 28. April 2017 Klage erhoben. Sie leide als Folge ihrer Erkrankung mit einer Vielzahl von Stuhlgängen an Schwäche, Abgeschlagenheit und erheblichen Schlafstörungen bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand und mittlerweile ausgeprägtem Fatigue-Syndrom. Die Beschwerdesymptomatik der Erkrankung wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Kräfteverfall habe sich ebenfalls manifestiert. Es handele sich nach den Versorgungsmedizinischen Grund-sätzen (VMG) um eine Colitis ulcerosa mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle), die mit einem Einzel-GdB von 50 bis 60 zu bewerten sei. Die Bewertung ihrer Beschwerden als mittelschwere Auswirkungen sei nicht ausreichend.
Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat ein Sachverständigengutachten des Internisten und Kardiologen Dr. N. eingeholt, das dieser unter dem 24. April 2018 erstattet hat. Dort hat die Klägerin u. a. berichtet, si...