Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. dauernd getrennt lebende Ehegatten nach Eheschließung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff des "dauernd Getrenntlebens" in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 bestimmt sich eigenständig nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift unabhängig von der familienrechtlichen Definition.
2. Bei Eheleuten können vom ersten Tag der Eheschließung zwei getrennte Bedarfsgemeinschaften vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. September 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2005 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist eine Leistungsaufhebung für die Zeit vom 05. Januar bis 30. Juni 2005 streitig.
Die Agentur für Arbeit G. bewilligte der 1954 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 10. November 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2005 in Höhe von 659,50 € monatlich. Am 05. Januar 2005 heiratete die Klägerin den 1936 geborenen H., wobei jeder Ehepartner nach der Eheschließung weiterhin seine frühere Wohnung bewohnte. Zwischen den Eheleuten wurde der Güterstand der Gütertrennung vereinbart; Im Übrigen sollte alles wie vor der Heirat bleiben. Die Klägerin verbrachte - wie bereits vor der Heirat - dreimal/viermal in der Woche vormittags die Zeit bei ihrem Ehemann mit Gesprächen, Spaziergängen und gemeinsamem Fernsehen. Gelegentlich wurden gemeinsame Mahlzeiten eingenommen. Mit Urteil vom 15. September 2005 sprach das Amtsgericht G. - Familiengericht - der Klägerin einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann ab 01. Mai 2005 in Höhe von 265,53 € und ab 01. Juli 2005 fortlaufend in Höhe von 165,53 € zu.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2005 und Widerspruchsbescheid vom 31. März 2005 hob die Beklagte die Bewilligung von SGB II-Leistungen mit Wirkung vom 05. Januar 2005 auf, weil die Klägerin nach der Heirat nicht mehr hilfebedürftig sei. Unter Berücksichtigung der Pension des Ehemannes in Höhe von 1.964,76 € brutto ergebe sich nach den gesetzlich vorgesehenen Abzügen ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 1.521,62 €. Dieses Einkommen übersteige den Bedarf der Eheleute in Höhe von 936,56 €. Dabei seien die Klägerin und ihr Ehemann als Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II anzusehen, weil sie nicht dauernd getrennt leben würden.
Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat nach zeugenschaftlicher Vernehmung des Ehemannes der Klägerin mit Urteil vom 20. September 2006 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass ein Getrenntleben der Ehepartner nicht festgestellt werden könne. Zwar habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, die eheliche Lebensgemeinschaft abzulehnen. Diese Einlassung sei jedoch nicht glaubhaft. Es stehe vielmehr fest, dass die Klägerin und ihr Ehemann geheiratet hätten, um die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Eine Heirat wäre nicht nötig gewesen, wenn nur eine Bekanntschaft gepflegt werden sollte. Es gebe keinen Grund, zu heiraten und gleichzeitig die Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft abzulehnen.
Gegen das am 05. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. Oktober 2006 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihren Vortrag, dass sie von Anfang an die eheliche Lebensgemeinschaft nicht herstellen wollte. Sie hätte ansonsten ihre Wohnung aufgegeben und wäre in die Wohnung des Ehemannes eingezogen. Dies sei aber gerade nicht die Absprache der Eheleute gewesen. Auch das Familiengericht sei von einem dauernden Getrenntleben der Ehepartner ausgegangen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 20. September 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert, die Absicht der Klägerin, mit ihrer eigenen Wohnung einen eigenen Lebensraum und damit einen Rückzugsraum bewahren zu wollen, entspreche sicherlich dem Wunsch vieler anderer Ehefrauen in einer normalen Ehe. Dieser Wunsch könne jedoch nicht mit Leistungen des SGB II finanziert werden. Auch wenn die Klägerin Trennungsunterhalt eingeklagt habe, lasse ihr Verhalten nicht die Schlussfolgerung zu, dass sie die Absicht gehabt habe, sich vom Ehemann zu trennen. Ein dauerndes Getrenntleben liege deshalb seit der Eheschließung nicht vor.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 24. März 2009 die Klägerin persönlich angehört.
Wegen des vollständigen Sachverhalts und des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten (BG-Nr.: I.) Bezug genommen. Gegenstand der Beratung war ferner die Str...