Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Anwendbarkeit von § 8 WoGG 2. Zuschlag von 10%. Fehlen eines Mietspiegels und einer Mietdatenbank. Umfang der Ermittlungsmöglichkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mangels valider Erkenntnismöglichkeiten ist die Angemessenheitsgrenze für Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 SGB 2 in Anlehnung an die rechte Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG 2 zuzüglich eines Zuschlages von 10% zu bilden.

2. Zum Umfang der Ermittlungsmöglichkeiten in einer Stadt, in der kein Mietspiegel und keine andere Mietdatenbank existiert (hier: Landeshauptstadt Hannover).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. November 2005 aufgehoben sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2005 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 2005 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten ohne Heizung in Höhe von 385,00 € monatlich zu zahlen.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 30. November 2005 geltend. Streitig ist die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II.

Die 1955 geborene Klägerin bewohnt seit 1991 eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 84,76 qm in einem seit 1968 bezugsfertigen Haus in G.. Hierfür entrichtet sie eine Grundmiete von 416,04 € sowie eine Vorauszahlung für Betriebskosten, Heizung- und Wasserkosten von 111,97 €, insgesamt also 528,01 € monatlich. Für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. September 2005 erhielt die Klägerin von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg) II in Höhe von 871,18 € monatlich, bestehend aus der Regelleistung von 345,00 € monatlich sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung von 526,18 € monatlich. Der geringere Unterschied zu den tatsächlich gezahlten Kosten ergab sich daraus, dass die Beklagte den in der Regelleistung enthaltenen Warmwasseranteil abgezogen hatte.

Durch Schreiben vom 7. März 2005 mit Fristsetzung zum 31. Mai 2005 und durch weiteres Schreiben vom 27. Mai 2005 mit Fristsetzung zum 30. September 2005 wurde die Klägerin aufgefordert, die Unterkunftskosten durch eine der näher beschriebenen Maßnahmen auf einen Betrag zu senken, der die auf ihren Haushalt bezogene Miethöchstgrenze von 300,00 € monatlich (inklusive Nebenkosten, ohne Heizung) nicht überschreitet. Dabei sollte die Klägerin bei der Wohnungssuche von der Möglichkeit des privaten Anzeigenmarktes Gebrauch machen, sich mit ansässigen Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften in Verbindung setzen sowie unter Vorlage des Absenkungsverlangens Wohnungsvermittlungshilfe beim Wohnungsamt der Beklagten in Anspruch nehmen. Die Klägerin wurde gleichzeitig aufgefordert, in dem gesetzten Zeitraum Nachweise ihrer Bemühungen vorzulegen, wie z. B. Anschreiben an Vermieter, sowie Schriftverkehr auf Wohnungsanzeigen oder von der Klägerin selbst aufgegebene Suchanzeigen. Sollten die Unterkunftskosten bis zur gesetzten Frist nicht gesenkt und keine Nachweise über ihre Bemühungen zur Kostensenkung vorgelegt worden sein, würde die Beklagte ab 1. Oktober 2005 nur die aus ihrer Sicht angemessenen Kosten für 300,00 € zuzüglich Heizungskosten erstatten.

Bereits vor Ablauf der jeweiligen Fristsetzungen reduzierte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2005 und Widerspruchsbescheid vom 9. August 2005 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 30. November 2005 auf 673,25 € monatlich (345,00 € Regelleistung, 300,00 € für Miete einschließlich Nebenkosten und 28,25 € für Heizung). Diese Bescheide wurden Gegenstand eines vor dem Sozialgericht (SG) Hannover zwischen den Beteiligten unter dem Aktenzeichen S 42 AS 241/05 bereits anhängigen Klageverfahrens.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Beklagte die Kosten für die Unterkunft in tatsächlicher Höhe übernehmen müsse. Denn es handele sich um die am Markt übliche Miete. Die von der Beklagten ermittelte Höchstgrenze von 300,00 € entspreche nicht den rechtlichen Vorgaben.

Demgegenüber hat die Beklagte eingewendet, dass die Klägerin keinerlei Bemühungen unternommen habe, die Unterkunftskosten in irgendeiner Weise zu senken.

Das SG Hannover hat durch Urteil vom 29. November 2005 die Klage abgewiesen. Es komme nicht darauf an, ob eine über 80 qm große Wohnung für eine Person zu groß sei. Denn die Klägerin habe die Frist von einem halben Jahr verstreichen lassen, ohne dass sichtbar geworden sei, dass sie sich um einen Wohnungswechsel bemüht habe. Hätte sie die geforderten Unterlagen eingereicht, hätte sich wenigstens die Möglichkeit bestanden, dass die Wohnung aus welchen Gründen auch immer hinsichtlich der Kosten...

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