Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Ermittlung der Belastungsgrenze. Berücksichtigung von Kinderfreibetrag und Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf
Orientierungssatz
Der sich nach § 32 Abs 6 S 1 und 2 EStG ergebende Betrag iS von § 62 Abs 2 S 3 SGB 5 wird nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift aus dem für jedes Kind zu berücksichtigenden Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (in Höhe von 1824 Euro) und dem Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (in Höhe von 1080 Euro) gebildet.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Kläger und Beklagte streiten um die Berechnung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen chronisch Kranker und vertreten unterschiedliche Rechtsauffassungen zu den dabei zugrunde zu legenden Freibeträgen für Kinder.
Der im Jahre 1946 geborene Kläger ist mit seiner chronisch kranken Ehefrau (Bescheinigung der Hausärzte vom 25. März 2004) und seinen beiden Kindern bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In seinem Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen für das Kalenderjahr 2004 (vom 25. März 2004) gab der Kläger (Altersteilzeit seit dem 1. Januar 2003) monatliche Bruttoeinnahmen für sich in Höhe von 2.906,- € nebst Sonderzahlungen in Höhe von 1.100,- € sowie 400,- € für die in geringfügigem Umfang tätige Ehefrau an. Die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder erzielten keinerlei Einkünfte.
Die Beklagte berechnete die Belastungsgrenze für Zuzahlungen und erließ den angefochtenen Bescheid vom 22. März 2005, mit dem sie einen Erstattungsbetrag an den Kläger in Höhe von 193,02 € festsetzte. Dabei hatte die Beklagte die §§ 62 Abs. 2 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) der Gestalt angewendet, dass ein Freibetrag je Kind in Höhe von 3.648,- € zugrunde zu legen sei.
Der Kläger erhob Widerspruch und vertrat die Auffassung, dass für jedes Kind ein Freibetrag von insgesamt 5.808,- € zugrunde zu legen sei. Zur Begründung machte er geltend, dass § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V auf § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 EstG verweise der nach seinem Wortlaut (Satz 1) ausdrücklich einen Freibetrag von 1.824,- € (für das sächliche Existenzminimum des Kindes) sowie einen zusätzlichen Freibetrag von 1.080,- € (für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes) vorsehe, der sich - bei Verdoppelung nach Satz 2 der Vorschrift - auf 5.080,- € je Kind summiere.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2005 mit der Begründung zurück, dass sich der Freibetrag in Höhe von 3.648,- € aus der Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 32 Abs. 6 Satz 1 SGB ergebe und auch das zuständige Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) die Rechtsauffassung sowohl der Beklagten als auch der anderen gesetzlichen Krankenkassen teile.
Mit seiner hiergegen am 11. Oktober 2005 vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend geltend gemacht, dass der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift (des von § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V in Bezug genommenen § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG) eindeutig und deshalb von den gesetzlichen Krankenkassen anzuwenden sei. Habe der Gesetzgeber tatsächlich einen anderen Willen verfolgt, hätte er das Gesetz ändern müssen.
Das SG hat die Beklagte mit hier angefochtenem Urteil vom 20. November 2007 (unter Abänderung des entgegenstehenden Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides) verurteilt, dem Kläger weitere 43,20 € zu erstatten und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG im Einzelnen ausgeführt, bei rechnerischer Richtigkeit im Übrigen sei der Freibetrag je Kind von der Beklagten unzutreffend zu niedrig (3.648,- €) zugrunde gelegt worden und statt dessen mit 5.080,- € anzusetzen. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG, der wegen dieser Eindeutigkeit keinen Raum für eine historische bzw. teleologische Auslegung lasse. Auch das SG Lübeck habe in seiner Entscheidung (vom 19. Januar 2006, S 3 KR 1501/04) allein den Wortlaut zugrunde gelegt und dabei u. a. zur Begründung ausgeführt, dass die Begründung des Gesetzesentwurfs keine andere Rechtsanwendung rechtfertige, weil sich die (auch von der dortigen) Beklagten vertretene Rechtsauffassung allein auf einen Klammerzusatz innerhalb der Begründung zum Gesetzesentwurf stütze. Ein bloßer Klammerzusatz könne jedoch keine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung rechtfertigen.
Gegen das ihr am 3. Januar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Januar 2008 eingelegte Berufung, mit der die Beklagte ergänzend geltend macht, dass das Urteil des SG Lübeck nicht bestandskräftig geworden, sondern mittels Sprungrevision angefochten worden sei. Dabei ...