Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Versorgung einer Versicherten mit Echthaarteil bei polyzyklischem Haarausfall
Orientierungssatz
1. Ein partieller (krankheitsbedingter) Haarverlust stellt bei einer Frau eine Behinderung im Sinne von § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 dar.
2. Ziel der Hilfsmittelversorgung ist nur die Gewährleistung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben setzt bei einer Frau jedoch nicht voraus, dass ihr ursprüngliches Aussehen durch den Haarersatz so weit wie möglich wiederhergestellt wird.
3. Unter Berücksichtigung der bei der Versicherten bestehenden Erkrankung Psoriaris vulgaris ist die Versorgung nur mit einer Kunsthaarperücke, die den Kopf vollständig bedeckt nicht als zweckmäßig anzusehen, sondern kontraindiziert. Im Einzelfall ist daher das vorhandene Kopfhaar mit einem Echthaarteil der Gestalt zusammenzubringen, dass der Verlust des Haupthaares nicht erkennbar wird.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. November 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in der Berufungsinstanz.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin Anspruch auf vollständige Erstattung der Kosten für eine Versorgung mit einem Echthaarteil nach Maßanfertigung hat.
Die 1964 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert. Sie leidet seit Jahren unter einem zunehmenden polyzyklischen Haarausfall aufgrund einer Psoriasis capitis bzw. vulgaris. Unter Vorlage eines Kostenvoranschlages für ein Echthaarteil nach Maßanfertigung der Firma Haarpraxis G. und einer Verordnung des Facharztes für Innere Medizin Dr. H. vom 2. Dezember 2010 beantragte sie die Kostenübernahme für ein handgeknüpftes Echthaarteil (1.290,-- Euro). Die Beklagte genehmigte daraufhin die Kostenübernahme bis zu einem Höchstbetrag von 511,-- Euro. Die teilweise Kostenübernahme beruhte auf einem Befundbericht des Facharztes für Dermatologie Dr. I. vom 8. Februar 2011, einer vorgelegten Fotodokumentation vom 27. Januar 2011 sowie einer sozialmedizinischen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 11. März 2011. Dagegen richtete sich die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 6. Mai 2011, in dem sie die vollständige Erstattung der Kosten für den handgefertigten Haarersatz forderte. Im Rahmen der Bezuschussungshöhe sei nur eine Versorgung mit einem herkömmlichen Kunsthaarersatz möglich. Dieser werde bei täglichem Tragen niemals eine Haltbarkeit von mehr als sechs Monaten aufweisen. Auch aus reinen Gesundheitsgründen sei der Kunsthaarersatz nicht ausreichend. Die handelsüblichen Kunsthaarperücken seien eigentlich nur für rein modische Zwecke oder nur kurze tägliche Tragezeiten ausgelegt. Das Untermaterial dieser Perücken sei relativ grob, weit und fast ausschließlich aus synthetischen Materialien gearbeitet. Völlig ungeeignet seien diese reinen Mode-Kunsthaarperücken bei unbehaarter bzw. nahezu unbehaarter Kopfhaut. Werde beim Tragen einer solchen Perücke der Kopf leicht nach vorne geneigt, so seien die Belüftungsöffnungen am Hinterkopf zu sehen und würden bei völliger Kahlköpfigkeit den Blick auf die unbehaarte Kopfhaut des Trägers frei geben. Diese Form der Verarbeitung beinhalte zudem Gesundheitsrisiken, weil der Träger durch die nicht vorhandene Atmungsaktivität des Kunsthaares anfällig für Erkältungs- und Grippekrankheiten werde. Der größte Nachteil der Kunsthaarfaser gegenüber dem Echthaar sei, dass sie im Gegensatz zum menschlichen Haar keine Feuchtigkeit aufnehme und keine Körperwärme zwischenspeichern könnte. Gerade diese Gefahrenquelle für die Gesundheit ließe die Versorgung mit Kunsthaarperücken als generell nicht ausreichend erscheinen.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2011 lehnte die Beklagte eine höhere Bezuschussung/Kostenübernahme für den Haarersatz ab. Der MDK habe in seinem Gutachten mitgeteilt, dass die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Haarersatz gegeben sei. Die Notwendigkeit eines Echthaarteils nach Maßanfertigung werde jedoch nicht als notwendig erachtet. Zur Wiederherstellung eines unauffälligeren Erscheinungsbildes wäre auch eine Kunsthaarperücke ausreichend. Es handele sich um einen sog. mittelbaren Behinderungsausgleich. Hier seien die gesetzlichen KKen nach bestehender Rechtsprechung nur für den Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es lägen keine Gründe vor, die eine Kunsthaarperücke als nicht ausreichend und zweckmäßig erscheinen ließe. Bezüglich der Höhe der Kostenübernahme für eine Kunsthaarperücke erfolge eine Begrenzung auf den bewilligten Betrag in Höhe von 511,-- Euro aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß §§ 12 Abs. 1, 2 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Durch den bewilligten Betrag seien bundesweit Kunsthaarperücken zu erhalten, die den Anforderungen genügen würden. Beispielhaft sei hier di...