Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Hilfe zur Pflege in Form ambulanter Pflege in häuslicher Umgebung anstelle einer vollstationären Dauerpflege

 

Orientierungssatz

1. Die Hilfe zur Pflege umfasst gemäß § 61 Abs. 2 S. 1 SGB 12 u. a. häusliche und stationäre Pflege. Nach § 13 Abs. 1 S. 2 SGB 12 haben ambulante Leistungen grundsätzlich Vorrang vor teilstationären und stationären Leistungen. Dem pflegebedürftigen Menschen soll ein möglichst selbstbestimmtes und selbständiges Leben ermöglicht werden. Bei der Entscheidung über die Art der Betreuung und Pflege kommt es u. a. darauf an, ob diese in einer vollstationären Einrichtung und damit für den Betroffenen einhergehenden Einschränkungen und Belastungen nach allgemeiner Anschauung vertretbar und damit für den Betroffenen tragbar ist.

2. Begründet der Krankheitszustand des Pflegebedürftigen einen umfassenden Pflegebedarf, der durch ambulante Pflege in häuslicher Umgebung nicht gewährleistet werden kann und ist zudem bei einem Wechsel von der stationären in die ambulante Pflege eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes zu befürchten, so ist die vollstationäre Dauerpflege die für den Pflegebedürftigen geeignete Pflege. Bei solchen gegebenen Umständen ist eine beantragte Zusicherung zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form ambulanter Pflege in häuslicher Umgebung zu versagen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.03.2017; Aktenzeichen B 8 SO 79/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zusicherung zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form ambulanter Pflege in häuslicher Umgebung anstelle einer vollstationären Dauerpflege.

Der 1961 geborene Kläger leidet seit 2001 an einer rechtsseitigen Halbseitenlähmung nach zweimaligem Herzinfarkt sowie an multipler Sklerose (MS) mit raschem Fortschreiten der Beschwerden, vollständiger Inkontinenz, einer spastischen Tetraparese, Geh- und Stehunfähigkeit sowie Immobilität bei rezidivierendem Dekubitus am Steiß bei einem anerkannten Grad der Behinderung von 90 und den Merkzeichen B, G und aG. Ferner liegen bei ihm Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas (110 kg bei 165 cm Körpergröße) sowie ein Hypertonus und nunmehr auch Niereninsuffizienz vor. Er ist auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen.

Ursprünglich lebte der Kläger allein in einer Wohnung in der F. 36 in G. und wurde ambulant von dem Pflegedienst H. betreut, der drei Mal täglich die Pflege übernahm. Ergänzend erhielt er Unterstützung durch einen Nachbarn. Nach einem stationären Reha-Aufenthalt in der Zeit vom 12. Dezember 2007 bis 11. Januar 2008 ist der Kläger seit dem 9. März 2008 (zunächst in Form der Kurzzeitpflege und dann vollstationär) im Pflegeheim "Haus der Pflege I. " in J. untergebracht: die monatlichen Kosten für den vollstationären Aufenthalt beliefen sich im Jahr 2009 auf 2.986,03 € und belaufen sich aktuell auf 3.481,57 €. Er lebt in einem individuell gestalteten Einzelzimmer mit eigenem Bad. Im Heim sind auch einige an MS erkrankte jüngere Personen untergebracht, zu denen der Kläger jedoch keinen Kontakt wünscht. Er hat eine 1995 geborene Tochter - K. L. -, die in Hamburg lebt.

Ausweislich des Gutachtens des Dr. M. vom 13. Februar 2008 zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI ist der Kläger regelmäßig auf Fremdhilfe bei allen Verrichtungen der Grundpflege angewiesen. Seinerzeit konnte eine Gewichtsreduktion auf 90 kg erreicht werden, ein Dekubitus lag nicht vor. Den Zeitaufwand für die Grundpflege bewertete Dr. M. mit 344 Minuten täglich, den Zeitaufwand für Hauswirtschaft mit 60 Minuten täglich. Mit einer Besserung des Zustandes könne nicht gerechnet werden. Seither liegt bei dem derzeit nicht kranken- und pflegeversicherten Kläger die Pflegestufe III vor.

Ergänzend zu seiner Rente wegen voller dauerhafter Erwerbsminderung in Höhe von aktuell 457,44 € monatlich bezieht der Kläger vom Beklagten Leistungen zur vollstationären Dauerpflege in Höhe von zuletzt 3.133,21 € (einschließlich Grundsicherungsleistungen) monatlich sowie Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form von Behindertenfahrten, deren Kosten sich im Jahr 2015 auf insgesamt 4.464,30 € beliefen. Daneben übernimmt der Beklagte die Kosten der Haftpflichtversicherung für den elektrischen Rollstuhl mit 38,00 € jährlich.

Am 11. Juni 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Hilfe zur Pflege in Form ambulanter Leistungen unter Vorlage eines Wohnungsangebotes für eine 57 qm große Wohnung. Seinen Antrag begründete er damit, er wolle die Wohnung zum 1. Juli 2009 anmieten und das Pflegeheim verlassen.

Auf Anforderung des Beklagten reichte er einen Kostenvoranschlag des Pflegedienstes H. vom 15. Juni 2009 ein, wonach sich die Kosten für die ambulante Pflege auf 1.856,38 € monatlich belaufen würden. Bei Bedarf sei umfang...

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