Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Entscheidung. Erstattung erbrachter Leistungen nach abschließender Entscheidung. Nichtanwendbarkeit der einjährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10. vierjährige Verjährung. Rechtssicherheit. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Erstattung von vorläufig gewährten Leistungen (§ 328 Abs 3 S 2 SGB III) unterliegt nicht der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 S 2 SGB X.
Orientierungssatz
Für den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 S 2 SGB 3 gilt nach allgemeiner Meinung die vierjährige Verjährung.
Normenkette
SGB III § 328 Abs. 3 S. 2; SGB X § 45 Abs. 4 S. 2; SGB II a.F. § 40 Abs. 2 Nr. 1
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 28. August 2014 wird aufgehoben.
Die Klagen gegen den die Kläger zu 1) und 3) betreffenden Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: L.) sowie gegen den den Kläger zu 2) betreffenden Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: M.) werden abgewiesen.
Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) sowie um die Erstattung von vorläufig gewährten Leistungen für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2010 bzw. bis 30. November 2010.
Die miteinander verheirateten Kläger zu 1) und 2) bezogen gemeinsam mit ihrem 2007 geborenen Sohn (Kläger zu 3)) im streitbefangenen Zeitraum vom Beklagten vorläufige Leistungen nach dem SGB II (vgl. für den Bewilligungszeitraum August 2010 bis Januar 2011: Bescheid vom 11. August 2010 sowie Änderungsbescheid vom 26. August 2010). Die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung beruhte darauf, dass der Kläger zu 2) Erwerbseinkommen in schwankender Höhe erzielte. Am 20. Oktober 2010 meldeten sich die Kläger aus dem Leistungsbezug ab, da sie aufgrund des aktuellen Einkommens des Klägers zu 2) nicht mehr hilfebedürftig waren.
Am 21. September 2010, 15. Oktober 2010 bzw. 12. November 2010 legten die Kläger die Gehaltsabrechnungen des Klägers zu 2) für die Monate August bis Oktober 2010 beim Beklagten vor. Daraufhin verlangte dieser wegen der in den Monaten August bis Oktober 2010 überzahlten vorläufigen SGB II-Leistungen von der Klägerin zu 1) die Erstattung von 308,88 Euro, vom Kläger zu 3) die Erstattung von 141,69 Euro und vom Kläger zu 2) die Erstattung von 308,87 Euro (zwei Erstattungsbescheide vom 24. November 2010, Absendung laut Verwaltungsakte: 3. Dezember 2010). Diese Bescheide gingen den Klägern nach ihren Angaben nicht zu. Vielmehr hätten sie von der Existenz dieser Bescheide erstmals im Zusammenhang mit einer später durch die Bundesagentur für Arbeit - BA - (in ihrer Eigenschaft als Forderungseinzugsstelle des Beklagten) veranlassten Zahlungsaufforderung erfahren. Dementsprechend teilten die Kläger dem Beklagten im Hinblick auf die Zahlungsaufforderungen der BA mit, dass ihnen keine Bescheide vom 24. November 2010 bekannt seien. Entsprechende Bescheide seien nicht zugegangen. Vorsorglich werde gegen “jegliche Bescheide„ vom 24. November 2010 Widerspruch eingelegt (Schreiben vom 28. Dezember 2010).
Nach Eingang dieses Schreibens erfolgte seitens des Beklagten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr keine weitere Reaktion. Vielmehr übersandte der Beklagte die Bescheide vom 24. November 2010 erst auf nochmalige Nachfrage der Kläger (Schreiben vom 5. Dezember 2011) im März 2012 erneut (Schreiben vom 26. März 2012, abgesandt: 27. März 2012). Im weiteren Schriftverkehr bekräftigten die Kläger ihren Vortrag, wonach ihnen die beiden Bescheide vom 24. November 2011 zuvor nicht zugegangen seien.
Der Beklagte erließ im Laufe des Widerspruchsverfahrens endgültige Leistungsbescheide für den Monat Oktober 2010 (Bescheide vom 8. Oktober 2012 und 5. Februar 2013 - Leistungsbetrag: 66,93 Euro) sowie für die Monate August bis September 2010 (Bescheid vom 5. Februar 2013 - Leistungsbetrag: 0 Euro). Diese Bescheide enthielten jeweils den Zusatz, dass sie gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens würden.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 6. Februar 2013 reduzierte der Beklagte unter Bezugnahme auf die zwischenzeitlich erlassenen endgültigen Leistungsbescheide gegenüber den Klägern zu 1) und 3) den sie betreffenden Erstattungsbetrag von ursprünglich (insgesamt) 450,57 auf 410,85 Euro sowie gegenüber dem Kläger zu 2) von ursprünglich 308,87 Euro auf 281,65 Euro. Die weitergehenden Widersprüche wies der Beklagte zurück (Aktenzeichen der Widerspruchsbescheide: M. und L.).
Den hiergegen von den Klägern zu 1) und 3) unter dem Aktenzeichen S 24 AS 408/13 und vom Kläger zu 2) unter dem Aktenzeichen S 25 AS 409/13 vor dem Sozialgericht (SG) Lüne...