Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.09.2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt B., U., beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Leistungen nach dem SGB XII im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 1939 geborene und seit 2015 an Demenz erkrankte Antragstellerin ist kroatische Staatsangehörige. Sie lebte viele Jahre in P. in Bosnien-Herzegowina, war dort krankenversichert und bezog eine monatliche Rente iHv ca. 190 EUR, die auf ihrem in P. geführten Konto eingeht. Ihr Sohn lebt in Deutschland; dieser bezieht Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Nach dem Tod ihrer Schwester, mit der sie in einem gemeinsamen Haushalt lebte, nahm der Sohn die Antragstellerin Ende Oktober 2019 mit nach Deutschland. Anfang 2020 verschlechterte sich die gesundheitliche Situation der Antragstellerin. Mittlerweile befindet sich die Antragstellerin im Endstadium einer Multiinfarktdemenz. Sie ist für weite Strecken transportunfähig, weil sie intensiv pflegebedürftig und die Selbstfürsorge vollständig aufgehoben ist.

Am 17.02.2021 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf ihre Demenzerkrankung und Pflegebedürftigkeit bei der Antragsgegnerin "finanzielle Unterstützung". Die kroatische Rente iHv ca. 190 EUR monatlich habe seit November 2019 nicht vom Konto abgehoben werden können. Krankenversicherungsschutz bestehe nicht.

Mit Bescheid vom 31.05.2021 bewilligte die Antragsgegnerin eine "Abschlagszahlung" iHv 3.650,08 EUR und forderte weitere Nachweise über die Krankenversicherung, den Rentenbezug sowie die Kontoauszüge. Mit Bescheid vom 18.10.2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Gem. § 23 Abs. 3 SGB XII erhielten EU-Bürger Leistungen (Grundsicherung und Hilfe zur Pflege) nur, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhielten. Die Antragstellerin halte sich erst zwei Jahre im Bundesgebiet auf. Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2022 zurück. Dem geltend gemachten Anspruch auf Grundsicherung und auf Hilfe zur Pflege stehe gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII das fehlende Aufenthaltsrecht der Antragstellerin entgegen. Die generelle Freizügigkeitsvermutung zugunsten von EU-Bürgern reiche hierfür nicht aus. Die Antragstellerin könne zumutbar auf die Inanspruchnahme von Leistungen in Kroatien verwiesen werden. Die Antragstellerin könne einen Antrag auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII stellen.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Antragstellerin am 03.03.2022 bei dem Sozialgericht Düsseldorf Klage (S 22 SO 71/22).

Am 06.09.2022 beantragte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Düsseldorf, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII, hiervon 190 EUR monatlich als Darlehen, zu verpflichten. Sie sei nicht reisefähig und ihr sei es nicht zumutbar, auf Leistungen in Kroatien verwiesen zu werden. Ihr Sohn könne mit seinen Grundsicherungsleistungen das Überleben von zwei Personen nicht sicherstellen. Außerdem sei sie in Deutschland nicht krankenversichert. Bisher habe sie Hilfe von ihrem Sohn und von dessen Nachbarn erhalten.

Die Antragsgegnerin sieht einen Anordnungsanspruch nicht als gegeben, weil die Antragstellerin nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen sei. Die Antragstellerin sei nicht materiell freizügigkeitsberechtigt und verfüge weder über einen Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 - 6 SGB XII stünden ihr ebenfalls nicht zu, weil ihr der Ausreisewille fehle (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 06.10.2021 - L 12 AS 1004/20). Auch sei der geltend gemachte Bedarf nicht zeitlich befristet.

Mit Beschluss vom 28.09.2022 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, "ab 06.09.2022 zunächst für die Dauer von sechs Monaten - vorläufig und darlehensweise - an die Antragstellerin Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 iVm § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 - 3 SGB XII zu zahlen" und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zwar falle die Antragstellerin möglicherweise unter den Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, da sie nicht materiell freizügigkeitsberechtigt sei. Aufgrund der demenzbedingten Transportunfähigkeit sei von einem Härtefall iSd § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII auszugehen. Dies gebiete eine Leistungsbewilligung über einen Monat hinaus. Angesichts des Gesundheitszustandes und der fehlenden Transportfähigkeit komme es auf einen Ausreisewillen nicht an. Ermittlungen hinsichtlich anzurechnenden Einkommens und des Krankenversicherungsschutzes blieben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

G...

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