Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht des Gerichts zur Auslegung eines Klagebegehrens - Bewilligung von Prozesskostenhilfe

 

Orientierungssatz

1. Prozesskostenhilfe ist nach §§ 73a SGG, 114 ZPO zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

2. Ist streitig, was mit der erhobenen Klage begehrt wird, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass mit einer Klage begehrt wird, was von dem Beklagten im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verweigert wurde und dass die Klage denselben Gegenstand hat wie der Widerspruchsbescheid. Ein lediglich unzureichender Wortlaut der Klageschrift ist als unbeachtliche Falschbezeichnung anzusehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger zu 2) und 3) wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 28.10.2020 geändert. Den Klägern zu 2) und 3) wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C, L, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Kläger zu 2) und 3) wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das gegen eine endgültige Festsetzung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und eine hierauf beruhende Erstattung gerichtet ist.

Der Kläger zu 1) des erstinstanzlichen Verfahrens, Herr E D, bezieht gemeinsam mit der Klägerin zu 2) und ihrem gemeinsamen Sohn, dem Kläger zu 3), vom Beklagten Leistungen. Mit Bescheid vom 28.08.2019 setzte der Beklagte den Klägern zunächst vorläufig bewilligte Leistungen für die Zeit von September 2018 bis Mai 2019 endgültig fest. Er berücksichtigte bei der Berechnung der Leistungen Erwerbseinkommen des Klägers zu 1) und Elterngeld, das er monatlich in Höhe des jeweiligen Zuflusses ansetzte. Auf dieser Grundlage bewilligte er den Klägern zu 1) und 2) für diesen Zeitraum monatlich schwankende Leistungen zwischen 74,41 EUR und 293,90 EUR und dem Kläger zu 3) zwischen 52,89 EUR und 226,74 EUR. Mit an den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) gerichteten Erstattungsbescheid ebenfalls vom 28.08.2019 forderte er vom Kläger zu 1) 945,89 EUR, vom Kläger zu 3) 647,75 EUR und mit an die Klägerin zu 2) gerichteten Erstattungsbescheid vom selben Tag von der Klägerin zu 2) ebenfalls 945,89 EUR zurück. Am 13.09.2019 erhoben die Kläger Widerspruch gegen die Bescheide vom 28.08.2019. Mit an alle Kläger gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 22.04.2020, der sich auf die endgültige Festsetzung und die Erstattungsbescheide bezog, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 05.05.2020 ist beim Sozialgericht Köln ein Schriftsatz eingegangen, dessen Briefkopf nur den Namen des Klägers zu 1) aufweist. Hierin heißt es "Gegen den Widerspruchsbescheid vom Jobcenter, der am 22.04.2020 abgelehnt wurde, möchte ich Klage beim Sozialgericht erheben. Da ich hierzu anwaltliche Beratung/ Unterstützung benötige und einen Beratungshilfeschein beantragt habe, möchte ich mit diesem Schreiben die Frist wahren und Klage gegen den Bescheid des Jobcenters stellen. Sobald ich den Beratungsschein (wurde schriftlich beantragt) erhalten habe und in anwaltlicher Beratung bin, erhalten Sie weitere Informationen." Mit Schriftsatz vom 09.06.2020 hat der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Kläger sich zunächst für den Kläger zu 1) bestellt, die Vollmacht der Klägerin zu 2) werde nachgereicht. Er hat beantragt, den Klägern Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der Widerspruchsbescheid vom 22.04.2020 war dem Schriftsatz beigefügt. Inhaltlich rügen die Kläger eine fehlerhafte Einkommensanrechnung, insbesondere die fehlende Bildung eines Durchschnittseinkommens. Mit Beschluss vom 05.10.2020 hat das Sozialgericht dem Kläger zu 1) Prozesskostenhilfe bewilligt.

Mit Beschluss vom 28.10.2020 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kläger zu 2) und 3) abgelehnt. Die Klage der Kläger zu 2) und 3) sei unzulässig, weil sie erst am 09.06.2020 und damit außerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben worden sei. Der Schriftsatz vom 05.05.2020 sei noch nicht als Klage der Kläger zu 2) und 3) auszulegen gewesen. In diesem sei nur der Kläger zu 1) namentlich genannt gewesen, zudem sei er durchgehend in der "Ich-Form" abgefasst worden. Es sei auch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Klage von Eltern sich immer auch auf ihre Kinder beziehe. Eine Aufforderung zu Ergänzungen iSd § 92 Abs. 2 Satz 1 SGG sei nicht geboten gewesen, weil es im Schriftsatz vom 05.05.2020 überhaupt keine Anhaltspunkte für eine Klage der Kläger zu 2) und 3) gegeben habe.

Am 05.11.2020 haben die Kläger zu 2) und 3) Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts erhoben. Bei der Auslegung des Schriftsatzes vom 05.05.2020 sei zu berücksichtigen, dass die Kläger unvertreten gewesen seien. Wenn ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft einklage, sei grundsätzlich von einer Klageerhebung aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auszugehen.

Der Beklagte hat im November 2020 die Leistungen der Kläger von September ...

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