Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe für einen erwerbsfähigen Unionsbürger durch den Grundsicherungsträger als erstangegangenen Leistungsträger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Orientierungssatz
1. Seit dem Urteil des BSG vom 3. 12. 2015 ist höchstrichterlich entschieden, dass jedenfalls erwerbsfähige Personen mit einem verfestigten Aufenthalt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12 haben können. Unterliegt der Antragsteller dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2, so ist der Sozialhilfeträger bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für die Erbringung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zuständig..
2. Der Grundsicherungsträger ist als zuerst angegangener Leistungsträger i. S. des § 43 SGB 1 zur Leistung verpflichtet, und zwar auch dann, wenn er den Antrag bereits mit Bescheid abgelehnt hat, es sei denn, dieser ist bestandskräftig geworden.
3. Bei der Frage, ob in einem solchen Fall der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 eingreift, handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG nicht um den Streit um eine materielle Anspruchsvoraussetzung, sondern um die Eröffnung eines Kompetenzkonflikts.
Normenkette
SGB I § 43 Abs. 1 S. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, §§ 6, 44b Abs. 1; SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1, § 21 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; SGB X § 102; GG Art. 19 Abs. 4
Tenor
Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.04.2016 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs vom 24.02.2015 bis 31.05.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Verpflichtung des Antragsgegners bzw. des Beigeladenen zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs.
Die 1990 geborene Antragstellerin ist slowakische Staatsangehörige. Sie lebte seit 1998 mit ihren Eltern in der Bundesrepublik Deutschland und absolvierte die Grund- und Hauptschule. Im Jahr 2007 kehrte sie zurück in die Slowakei, erwarb die Hochschulreife und machte eine Ausbildung als Friseurin. 2014 reiste die Antragstellerin wieder nach Deutschland ein und zog zu ihrer Mutter, die im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners wohnt. Vom 01.06.2015 bis 16.10.2015 nahm die Antragstellerin an dem Vorbereitungslehrgang auf die Meisterprüfung im Friseurhandwerk teil und erhielt hierfür eine Aufstiegsfortbildungsförderung. Die Antragstellerin besucht derzeit, da sie einige Prüfungen nicht bestanden hat, auf freiwilliger Basis einige Unterrichtsstunden, um sich auf Wiederholungsprüfungen vorzubereiten.
Nachdem der Antragsgegner bis zum 30.06.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt hatte, lehnte er die Leistungsbewilligung im Anschluss an die Aufstiegsfortbildung mit Bescheid vom 10.11.2015 ab. Hiergegen legte die Antragstellerin am 08.12.2015 Widerspruch ein.
Am 24.02.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Düsseldorf beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Regelbedarf nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Mit Beschluss vom 25.04.2016 hat das Sozialgericht den Beigeladenen verpflichtet, der Antragstellerin vom 24.02.2016 bis zum 31.05.2016 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Form des Regelsatzes zu gewähren. Die Antragstellerin unterliege dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, da sie sich derzeit nur zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Auf ein anderes Aufenthaltsrecht könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Aufgrund der Rechtsprechung des BSG sei aber der Beigeladene zur Zahlung verpflichtet.
Gegen diesen Beschluss hat der Beigeladene am 17.05.2016 Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Rechtsprechung des BSG, in Fällen wie dem vorliegenden den Sozialhilfeträger zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen, sei falsch. Für die Personengruppe der Antragstellerin sei ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zu prüfen. Auf den Referentenentwurf zu § 23 SGB XII, der klarstellend ausdrücklich die Angleichung des § 23 SGB XII an den § 7 SGB II beinhalte, sei zu verweisen. Es komme auf die Erwerbsfähigkeit als Abgrenzungsmerkmal an. Diese liege bei der Antragstellerin unzweifelhaft vor. Auch das SG Freiburg habe im Sinne des Beigeladenen entschieden (Beschluss vom 28.04.2016 - S 7 SO 773/16 ER).
II.
Die zulässige Beschwerde des Beigeladenen ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beigeladenen und nicht den Antragsgegner zur Zahlung von Leistungen verpflichtet. Die Antragstellerin hat im tenorierten Umfang einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund iSd § 86b Abs. 2 S. 2 SGG glaubhaft ...