Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anforderung an die Annahme der Hilfebedürftigkeit. Mitwirkungspflicht im sozialgerichtlichen Eilverfahren

 

Orientierungssatz

1. Kommt ein Antragsteller im sozialgerichtlichen Eilverfahren (hier: über die vorläufiger Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende) seiner Mitwirkungspflicht nicht im zur Sachaufklärung gebotenen Umfang nach, kann nicht von einer Eilbedürftigkeit und damit vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgegangen werden.

2. Einzelfall zur Prüfung der Voraussetzungen für einen Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: verneint).

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 7.4.2014 geändert und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 25.2.2014 abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Es bestehen durchgreifende Zweifel, ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, zudem ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen - § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, stattgebender Kammerbeschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, juris RdNr. 26).

Der Antragsteller ist portugiesischer Staatsangehöriger. Die umstrittene Rechtsfrage, ob der Antragsteller aufgrund seiner Staatsangehörigkeit gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen ist, kann hier offenbleiben (zum Meinungsstand siehe Beschlüsse des erkennenden Senats vom 02.12.2013 - L 2 AS 1726/13 B ER - und vom 01.08.2013 - L 2 AS 733/13 B ER; eine Europarechtswidrigkeit für möglich halten Landessozialgericht -LSG- Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.2013 - L 19 AS 1460/13 B ER; Beschluss vom 16.05.2013 (juris fälschlich: 13.06.2013) - L 6 AS 531/13 B ER; Beschluss vom 27.03 2014 - L 7 AS 326/14 B ER; Beschluss vom 12.03.2014 - L 12 AS 108/14 B ER; LSG Bayern, Urteil vom 19.06.2013 - L 16 AS 847/12; Beschluss vom 27.05.2014 - L 16 AS 344/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.06.2012 - L 14 AS 1460/12 B ER; Beschluss vom 23.05.2012 - L 25 AS 837/12 B ER; LSG Hessen, Beschluss vom 14.07.2011 - L 7 AS 107/11 B ER; Thüringer LSG, Beschluss vom 25.04.2014 - L 4 AS 306/14 B ER; jedenfalls nicht überzeugt von der Europarechtswidrigkeit sind: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.03.2014 - L 20 AS 502/14 B ER; Beschluss vom 21.06.2012 - L 20 AS 1322/12 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2012 - L 9 AS 347/12 B ER; Beschluss vom 18.03.2014 - L 13 AS 363/13 B ER).

Der Antragsteller hat eine der Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch, nämlich Hilfebedürftigkeit gem. § 9 Abs. 1 SGB II, nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller nutzt gemeinsam mit seiner in Portugal lebenden Ehefrau ein Girokonto bei einer portugiesischen Bank. Barabhebungen bei deutschen Banken oder Lastschriften, Überweisungen oder Gutschriften mit deutschen Zahlungsempfängern bzw. Zahlungsanweisenden sind den Kontoauszügen nicht zu entnehmen. Nach eigenem Vortrag war der Antragsteller in der Vergangenheit als selbständiger Trockenbauer tätig; die Nachfrage des Gerichts zu dem vorhandenen Vermögen, etwa Werkzeug oder Fahrzeug, blieb trotz Erinnerung unbeantwortet. Es bleibt unklar, wie der Antragsteller sein Material transportiert hat. Die genannten Umstände begründen durchgreifende Zweifel daran, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen s...

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