Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschluss eines Vertrags zur Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung und dessen Ersetzung durch Schiedsspruch
Orientierungssatz
1. Die Krankenkassen sind im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b Abs. 4 SGB 5 verpflichtet, mit Gemeinschaften von Ärzten, die mindestens die Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks einer Kassenärztlichen Vereinigung vertreten, einen Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung abzuschließen.
2. Dabei haben die Krankenkassen keine Auswahlentscheidung unter mehreren Anbietern hausarztzentrierter Versorgung zu treffen. Ebensowenig besteht für die Krankenkassen eine Ausschreibungspflicht.
3. Dass der Gesetzgeber Gemeinschaften mit einer Verhandlungs- und Abschlusskompetenz ausgestattet hat, die mehr als die Hälfte der Allgemeinmediziner repräsentieren oder vertreten, ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil diese Arztgruppe über die für eine besondere hausärztliche Versorgung erforderliche Weiterbildung verfügt. Die Vorrangstellung der Allgemeinmediziner im Bereich der hausärztlichen Versorgung folgt aus § 103 Abs. 4 S. 6 SGB 5.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 02.07.2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladenen zu 1) und 2) im Beschwerdeverfahren wird für notwendig erklärt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (AS) - ein ärztlicher Berufsverband - wendet sich gegen einen durch Schiedsspruch geschlossenen "Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V" (im Folgenden: HzV-Vertrag).
Der AS und die im Verband der Ersatzkassen (vdek) organisierten Ersatzkassen - darunter auch die Antragsgegnerin (AG) - führten Verhandlungen über den Abschluss eines HzV-Vertrages im Bereich der (KV) Baden-Württemberg. Nachdem keine Einigung erzielt worden war, beantragten die BG zu 1) und 2) die Einleitung eines Schiedsverfahrens. Das Bundesversicherungsamt (BVA) bestimmte daraufhin eine Schiedsperson (Bescheid vom 26.11.2010). Im Rahmen des Schiedsverfahrens wurde festgestellt, dass die BG zu 1) und 2) zum Stichtag 30.06.2009 gemeinsam von mehr als der Hälfte der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Allgemeinärzte des Bezirks der KV Baden-Württemberg mandatiert worden seien. Durch Schiedsspruch vom 10.04.2010 wurde sodann der HzV-Vertrag zwischen der Antragsgegnerin (AG) und weiteren Krankenkassen sowie den Beigeladenen (BG) zu 1) bis 4) geschlossen. Ein Vergabeverfahren mit öffentlicher Bekanntmachung nach den Vorgaben des Kartellvergaberechts ist nicht durchgeführt worden.
Gegenstand des Vertrags ist nach § 2 Abs. 1 die Umsetzung der hausarztzentrierten Versorgung u.a. für die Versicherten der AG in Baden-Württemberg. Die BG organisieren dabei die Teilnahme der Hausärzte und übernehmen für diese die Abrechnung gegenüber der AG gegen Zahlung einer Verwaltungspauschale (§§ 2 Abs. 4, 14 HzV-Vertrag). § 3 Abs. 1 des HzV-Vertrages regelt, dass alle an der hausärztlichen Versorgung gemäß § 73 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) teilnehmenden Hausärzte mit Vertragsarztsitz in Baden-Württemberg nach weiterer Maßgabe des § 3 Abs. 2 HzV-Vertrag (z.B. apparative Mindestausstattung, Sicherstellung bestimmter Leistungen, Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen gemäß § 137f SGB V, etc.) zur Teilnahme berechtigt sind. Die teilnehmenden Hausärzte haben nach §§ 10, 11 HzV-Vertrag für die im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung erbrachten Leistungen einen Anspruch auf Vergütung gegenüber der AG. Die Laufzeit des Vertrags ist unbefristet (§ 16 Abs. 3 HzV-Vertrag).
Der AS hat nach seinen Angaben am 27.04.2010 durch den Internetauftritt des BG zu 1) Kenntnis von dem Vertragsschluss erlangt und am 14.05.2010 bei der Vergabekammer (VK) des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt.
Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Es handele sich bei dem HzV-Vertrag um einen nach § 101b Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unwirksamen Vertrag, weil dessen Abschluss nicht öffentlich ausgeschrieben worden sei. Die AG decke durch den Vertragsschluss ihren Bedarf zum Angebot hausarztzentrierter Versorgung und vergüte die (ärztlichen) Leistungen nach Maßgabe der im Vertrag getroffenen Abreden, so dass von einem öffentlichen Auftrag auszugehen sei. Das Vorliegen einer autonomen Beschaffungsentscheidung sei weder gemäß § 99 GWB noch nach der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie - VKR) Voraussetzung für die Annahme eines öffentlichen Auftrages. Ebenso wenig könne auf den Grund für die Beschaffung - etwa eine gesetzliche Verpflichtung - abgestellt werden. Auch § 69 ...