Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang des Erstattungsanspruchs des erstangegangenen Grundsicherungsträgers gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Nach der Entscheidung des BSG vom 3. 12. 2015 sind sowohl Arbeitsuchenden als auch Personen, die in Ermangelung von Erfolgsaussichten bei der Arbeitsuche nicht über eine Freizügigkeitsberechtigung verfügen, zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessensweg zu erbringen, wenn ein verfestigter Aufenthalt von mehr als sechs Monaten vorliegt (Anschluss BSG Urteil vom 03. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R).
2. Die Frage, ob ein Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 unterfällt, ist nach der Entscheidung des BSG nur noch maßgeblich für die Bestimmung des Leistungsträgers. Verfügt dieser über ein anderweitiges Aufenthaltsrecht als das der Arbeitsuche, ist der Grundsicherungsträger zuständig; unterliegt er dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2, so ist der Sozialhilfeträger zuständig.
3. In dem Bewilligungsantrag des Hilfebedürftigen ist im Zweifel auch ein Antrag i. S. des § 43 Abs. 1 S. 2 SGB 1 zu sehen, vorläufige Leistungen zu erbringen.
4. Der aus § 43 SGB 1 folgende Erstattungsanspruch des erstangegangenen Leistungsträgers erfordert die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der vorläufig erbrachten Leistungen. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich gemäß § 102 Abs. 2 SGB 10 nach den für den endgültig zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 04.09.2015 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vom 21.07.2015 bis zum 31.12.2015 auch Leistungen für Unterkunft und Heizung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, M, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Der 1965 geborene Antragsteller und seine nach Roma-Sitte mit ihm verheiratete Lebensgefährtin J C sind die Eltern der 2008 geborenen Tochter J. Sie sind rumänische Staatsangehörige und halten sich seit Februar 2012 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vom 12.03.2014 bis zum 31.12.2014 übte die Lebensgefährtin des Antragstellers eine geringfügige Beschäftigung aus. Vom 22.06.2015 bis zum 04.07.2015 arbeitete sie als Qualitätskontrolleurin mit einem Stundenlohn von 9,39 EUR. Der Antragsteller arbeitete von April 2014 bis Mai 2014 bei der Firma B Industries und von August 2014 bis Oktober 2014 als Kurierfahrer bei der Fa. J Dienstleistungen. Im Anschluss daran erfolgten keine Beschäftigungen.
Bis zum 30.04.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller, der Lebensgefährtin und der Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bis zum 30.06.2015 bewilligte der Antragsgegner der Tochter und der Lebensgefährtin Leistungen nach dem SGB II als Vorschuss.
Den Weiterbewilligungsantrag vom 18.06.2015 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.06.2015 für den Zeitraum ab dem 01.07.2015 ab. Hiergegen legten die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft am 21.07.2015 Widerspruch ein. Am gleichen Tag haben sie beim Sozialgericht Dortmund die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II beantragt.
Mit Bescheid vom 22.07.2015 hat der Antragsgegner der Lebensgefährtin und der Tochter des Antragsstellers Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 31.12.2015 bewilligt. Dem lag die Arbeitstätigkeit der Lebensgefährtin vom 22.06.2015 bis zum 04.07.2015 zugrunde.
Mit Beschluss vom 04.09.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs vom 21.07.2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.12.2015, ohne Leistungen für die Unterkunft und Heizung zu zahlen.
Der Antragsgegner hat am 06.10.2015 gegen den am 10.09.2015 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, es sei kein anderes Aufenthaltsrecht für den Antragsteller außer dem zur Arbeitsuche ersichtlich, so dass der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Dem Antragsteller stehe auch kein aus Art. 10 EUV 492/2011 hergeleitetes Aufenthaltsrecht zu. Die elterliche Sorge werde vorwiegend von der Kindsmutter und nicht dem Antragsteller ausgeübt.
Der Antragsteller hat am 27.01.2016 Anschlussbeschwerde erhoben mit der er auch die Kosten der Unterkunft begehrt. In Erwiderung zur Beschwerde des Antragsgegners trägt er vor, ihm stehe ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als sorgeberechti...