Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe für einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen durch den erstangegangenen Grundsicherungsträger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Orientierungssatz
1. Nach § 21 S. 1 SGB 12 erhalten Personen, die nach dem SGB 2 als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB 12. Seit dem Urteil des BSG vom 3. 12. 2015 ist höchstrichterlich entschieden, dass jedenfalls auch erwerbsfähige Personen mit einem verfestigten Aufenthalt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12 haben können.
2. Der Grundsicherungsträger ist in einem solchen Fall als erstangegangener Leistungsträger i. S. des § 43 SGB 1 zur Gewährung von Leistungen des SGB 2 auch dann verpflichtet, wenn er seine Leistungspflicht aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 bereits durch Bescheid verneint hat.
3. Die Rechte des Grundsicherungsträgers sind gewahrt, weil dieser für den Fall, dass der Hilfebedürftige von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist, einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB 10 gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2016 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften vom 26.04.2016 bis zum 31.10.2016 zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Die am 00.00.1991 geborene Antragstellerin ist griechische Staatsangehörige und verfügt über eine in Griechenland abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung. Sie reiste im Jahr 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und übt seitdem keine Beschäftigung aus. Bis zum 24.02.2016 bezog sie als Angehörige der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner. In der Zeit vom 08.12.2015 bis zum 10.06.2016 nahm sie an dem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisierten Programm "Berufsbezogene Sprachförderung für Migrantinnen im Bereich Pflege und Soziales" teil, in dessen Rahmen sie auch ein fünfwöchiges Praktikum im L-Krankenhaus E absolvierte. Ein Vergütungsanspruch gegenüber dem Praktikumsbetrieb bestand nicht.
Den am 18.03.2016 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 04.04.2016 ab. Zur Begründung führte er an, die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Leistungen, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitsuche habe. Am 22.04.2016 legte die Antragstellerin hiergegen Widerspruch ein.
Am 26.04.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II zumindest vorläufig zu gewähren. Sie ist der Ansicht, im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG sei davon auszugehen, dass kein Ausschlusstatbestand hinsichtlich der Bewilligung von Leistungen vorliegt. Der Träger der Leistungen nach dem SGB XII habe bei einer Vorsprache der Antragstellerin am 25.04.2016 die Leistungsgewährung ebenfalls abgelehnt.
Durch Beschluss vom 30.05.2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil sie vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfasst werde. Danach seien Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Als griechische Staatsagehörige und mangels anderweitigen Aufenthaltsrechts habe der Antragsgegner zu Recht eine Leistungsbewilligung abgelehnt. Im Hinblick auf das zeitgleich gegen den Träger von Leistungen nach dem SGB XII eingeleitete Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (S 62 SO 255/16 ER) hat das Sozialgericht von dessen Beiladung und eine Entscheidung über die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII abgesehen.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 31.05.2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 31.05.2016 Beschwerde eingelegt, zu deren Begründung sie den bisherigen Vortrag wiederholt.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und nimmt zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug. Sowohl der Sprachkurs als auch das Praktikum seien keine Schul- oder Berufsausbildung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind...