Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztrecht. Bestimmung eines Krankenhauses zur ambulanten onkologischen Versorgung. Anfechtungsbefugnis für niedergelassene Vertragsärzte. Drittschutz. Anordnung der sofortigen Vollziehung. Defensive Konkurrentenklage. Berücksichtigungsgebot. Beurteilungsspielraum
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Rechtsstreit über die Bestimmung des Krankenhauses zur ambulanten Erbringung von Leistungen nach § 116b SGB V handelt es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts (§§ 10 Abs. 2, 31 Abs. 2 SGG) und nicht um eine solche der Sozialversicherung.
2. In Verfahren nach § 116b Abs. 2 SGB V sind – neben dem Träger des betroffenen Krankenhauses – die KV und die Landesverbände der Krankenkassen jedenfalls einfach beizuladen. Hieraus kann jedoch nicht deren Klagebefugnis hergeleitet werden.
3. Ab dem 01.01.2011 ist in Verfahren nach § 116 Abs. 2 SGB V statt der Bezirksregierung das Land Nordrhein-Westfalen Antragsgegner. Vorbehaltlich spezieller Vertretungsregelungen der Landesregierung wird das Land infolge des Rechtsträgerprinzips und ausgehend von dem materiellen Normenkomplex des § 116b SGB V durch das sachnächste Ministerium (hier: Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) vertreten. Eine Prozessführungsbefugnis der Bezirksregung für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich nicht aus § 8 Abs. 1, 3 LOG NRW und bedarf – mangels gesetzlicher Prozessstandschaft – einer Bevollmächtigung gem. § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGG im gewillkürten Einzelfall.
4. Die “Bestimmung” gem. § 116 Abs. 2 SGB V stellt einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X dar. Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage hat aufschiebende Wirkung.
5. Namentlich vor dem Hintergrund von Art. 12 GG ist bis zur abschließenden höchstrichterlichen Klärung, ob infolge einer Bestimmung nach § 116b Abs. 2 SGB V eine defensive Konkurrenzsituation für einen niedergelassenen Vertragsarzt gegeben ist, welche eine Anfechtungsberechtigung statuiert, davon auszugehen, dass eine Drittanfechtung durch diesen jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig ist. Der Senat nimmt darüber hinaus einfachrechtlich bei faktischem Konkurrenzverhältnis zwischen dem niedergelassenen Vertragsarzt und dem zur Erbringung ambulanter Leistungen bestimmten Krankenhaus und auch kraft Grundrechtsbetroffenheit der vertragsärztlichen Leistungserbringungen (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG) eine Drittanfechtungsberechtigung an.
6. Angesichts des der zuständigen Landesbehörde bei der Entscheidung über die Bestimmung des Krankenhauses eingeräumten Beurteilungsspielraums beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob der Entscheidung (aa) ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt, ob (bb) die Behörde die durch die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe “unter Berücksichtigung der Versorgungssituation” ermittelten Grenzen eingehalten hat und ob (cc) sie ihre Erwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist.
7. Zu dem der Bestimmungsbehörde durch die Aufklärungspflicht nach § 20 SGB X auferlegten Ermittlungsprogramm gehört die Abklärung der Eignung des fraglichen Krankenhauses und insoweit ein Qualitätsvergleich (“unter Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation”) mit den Angeboten niedergelassener Fachärzte.
8. Die Bestimmung zur ambulanten spezialärztlichen Versorgung gem. § 116b Abs. 2 S. 1 SGB V darf nur unter Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation erfolgen (Berücksichtigungsgebot). Dabei sind bedarfsplanerische Gesichtspunkte zu ermitteln und in den Abwägungsvorgang einzubeziehen. Sie stellen aber nur ein Abwägungsmoment neben einer Vielzahl anderer dar. Eine Bedarfsprüfung nach den Vorgaben des gesetzlichen Bedarfsplanungsrechts (§§ 99 ff. SGB V; §§ 12 ff. Zulassungsverordnung-Ärzte) oder der BedarfsplanungsRL-Ä ist nicht vorzunehmen.
9. Ein den Beurteilungsspielraum betreffendes Begründungsdefizit ist als fehlende oder als unzureichende Begründung zu werten und kann mittels Nachschieben von Gründen noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz geheilt werden, soweit die nachgebrachten Gründe schon beim Erlass des Bescheids vorgelegen haben, dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird.
Normenkette
SGB V § 116b Abs. 2-4, § 72 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 3, § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 10 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 2, § 75 Abs. 1 S. 1, § 70 Nr. 3, § 73 Abs. 2 Nr. 1; BedarfplanungsRL-Ä § 24 Sätze 1b, 5, § 25 Abs. 1; LOG NRW § 8 Abs. 1, 3; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; SGB X § 20 Abs. 1-2, §§ 31, 35 Abs. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2010 abgeändert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bestimmungsbescheides vom 29.12.2009 durch Anordnungsbescheid vom 02.06.2010 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass...