Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. miterlebte Selbsttötung des Ehepartners. kein tätlicher Angriff iS des § 1 OEG. keine Einbeziehung als Schockschaden
Orientierungssatz
1. Der Suizid eines anderen (hier des Ehepartners) ist kein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff iS des OEG.
2. Der miterlebte Suizid eines anderen wird auch nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze zum sogenannten Schockschaden vom Schädigungstatbestand erfasst.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.11.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Gestritten wird um Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG insbesondere wegen eines Suizids des zweiten Ehemannes der Klägerin.
Am Abend des 12.01.2010 kam es in der Wohnung der Klägerin und ihres damaligen (zweiten) Ehemannes S H zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Klägerin mehrfach von diesem geschlagen wurde. Schließlich tötete S H sich im Badezimmer durch einen Kopfschuss. Es ist offengeblieben, ob die Klägerin dies unmittelbar mit ansah oder ob sie zunächst den Schuss hörte und dann ins Badezimmer eilte.
Am 08.02.2013 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG wegen Gewalttaten am 12.01.2010. Der Beklagte zog Behandlungsunterlagen sowie die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft C (xxx) bei und gewährte Leistungen nach § 10 Abs. 8 BVG. Im Übrigen lehnte der Beklagte Leistungen wegen der Folgen der Ereignisse am 12.01.2010 ab. Die Gewährung von Leistungen sei unbillig im Sinne von § 2 OEG, da S H die Klägerin nach deren aktenkundigen Angaben bereits zuvor wiederholt geschlagen habe und sie gleichwohl in der Beziehung verblieben sei. Die Klägerin legte am 04.06.2013 Widerspruch ein. Der Beklagte zog weitere Behandlungsunterlagen bei und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 zurück.
Die Klägerin hat am 21.11.2013 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben. Sie hat vorgetragen, der Suizid von S H, der vor ihren Augen erfolgt sei, stelle eine Gewalttat dar, aufgrund derer ihr Leistungen nach dem OEG zustünden. Die gesamten Geschehnisse am Abend des 12.01.2010 stellten einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar. Die Gewährung von Leistungen sei nicht unbillig. Sie habe sich nicht gegen S H wehren können. Im Übrigen sei die Beziehung bis zum betreffenden Abend weitgehend harmonisch gewesen. Die Teilnahme an gerichtlichen Termin sei ihr gesundheitlich nicht möglich, die Mitwirkung an einer persönlichen Untersuchung durch einen Sachverständigen nur zeitlich begrenzt und nur dann, wenn zuvor der Untersuchungsumfang geklärt sei. Ihre behandelnden Ärzte seien als Zeugen zu vernehmen.
Die Klägerin hat u.a. ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin Dr. T aus 2015 für den S-Kreis aufgrund ambulanter Untersuchung zur Frage des GdB vorgelegt. Dr. T hat eine chronifizierte und erheblich ausgeprägte PTBS nach kumulativen psychischen Traumatisierungen sowie eine Trigeminusneuralgie diagnostiziert und diese mit Einzel-GdB von 60 bzw. 10 und den Gesamt-GdB mit 60 bewertet.
Das Sozialgericht hat Behandlungsunterlagen beigezogen, Auskünfte von Krankenkassen eingeholt, die Schwerbehindertenakten beigezogen, die frühere Ehefrau des S H, F H, als Zeugin vernommen und von Amts wegen Sachverständigengutachten nach Aktenlage des Direktors der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie und Interdisziplinäre Poliklinik für Orale Chirurgie und Implantologie der Klinik L, Prof. Dr. Dr. A sowie des Facharztes für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie, Spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie Dr. I eingeholt.
Prof. Dr. Dr. A hat ausgeführt, eine in geringer Dislokation verheilte laterale Mittelgesichtsfraktur bedinge keinen GdS, die chronisch-symptomatische Trigeminusneuralgie einen GdS von 10. Dr. I hat ausgeführt, es liege keine PTBS mehr vor, sondern eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Diese sei durch zahlreiche Belastungen bedingt. Was die psychische Belastung durch die Ereignisse am 12.01.2010 angehe, stehe der Suizid des S H im Vordergrund. Soweit dieser nicht vom Tatbestand erfasst sei, sei die bestehende psychische Störung keine Schädigungsfolge. Eine relevante Trigeminusschädigung sei nicht ersichtlich. Bei der Untersuchung von Dr. T sei der körperlich-neurologische Befund unauffällig gewesen. In den Unterlagen des Hausarztes werde eine Trigeminusneuralgie nur sporadisch erwähnt. Der beschriebene Dauerschmerz passe nicht zu einem neuropathischen Schmerzgeschehen. Es erfolge keine spezifische Therapie. Eine von der Klägerin angegebene Arzneimittelunverträglichkeit sei nicht plausibel. Unter Zugrundelegung der zuletzt von der Klägerin gemachten Angaben, die allerdings nicht mit der Aktenlage verein...