Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Vertragsarzt. Kassenärztliche Vereinigung. einstweiliger Rechtsschutz gegen Honorarrückforderungs- und Aufrechnungsbescheid

 

Orientierungssatz

1. Droht dem Antragsteller bei Versagung von einstweiligen Rechtsschutz eine erhebliche Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.

2. Die Sicherungsanordnung setzt die Gefahr voraus, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die Regelungsanordnung verlangt, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Beide Fälle unterliegen derselben Behandlung. Ist der erforderliche Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Eilbedürftigkeit nicht in Betracht.

3. Nach der Rechtsprechung des BVerwG stellt die Aufrechnung mit einer Gegenforderung keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides dar. Entgegen dieser Auffassung schließt die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs die Aufrechnung mit einem Rückforderungsanspruch aus. Die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides bewirkt ebenso wie der Suspensiveffekt die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid eingelegten Rechtsbehelfs.

4. War ein zu einem Honorarrückforderungsbescheid gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erfolglos, so entfaltet der gegen den Honorarrückforderungsbescheid erhobene Widerspruch keine aufschiebende Wirkung. Das hat zur Folge, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) als Antragsgegner nicht gehindert ist, die Aufrechnung zu erklären.

5. Die für die Zulässigkeit der Aufrechnung erforderliche Gegenseitigkeit ist gegeben. Die KÄV ist zugleich Gläubiger der Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung. Der Vertragsarzt als Aufrechnungsgegner ist zugleich Gläubiger der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung.

6. Macht der Vertragsarzt geltend, der Honorarrückforderungsbescheid und der Abrechnungsbescheid seien rechtswidrig, so muss die entsprechende Prüfung angesichts des komplexen Sachverhalts und einer Vielzahl rechtlicher Fragestellungen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

 

Normenkette

SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 153 Abs. 2, § 197a Abs. 1; VwGO § 53 Abs. 3 Nr. 4, § 52 Abs. 1, §§ 80, 80a, 123, 155 Abs. 1, § 162 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2, §§ 921, 923, 926, 928, 930-932, 938-939, 945-946; GG Art. 19 Abs. 4; BGB §§ 142, 387; SGB V § 85 Abs. 14 S. 9

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.04.2011 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Resthonorar für das Quartal IV/2009 auszukehren, sofern die Antragstellerin bis zum 31.12.2011 Sicherheit in Höhe von 105.000,00 EUR durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft eines öffentlich-rechtlichen Kreditinstituts oder einer Großbank mit Sitz in der Europäischen Union mit der Maßgabe leistet, dass die Bürgschaft von der Antragsgegnerin ganz oder zum Teil dann in Anspruch genommen werden kann, wenn die Honorarrückforderung gemäß Bescheid vom 26.11.2010 ganz oder zum Teil bestandskräftig wird. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt 1/6 und die Antragstellerin 5/6 der Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 20.454,90 EUR festgesetzt.

 

Gründe

l.

Die Antragstellerin begehrt die Auszahlung vertragsärztlichen Honorars (Restzahlung) für das Quartal IV/2009 in Höhe von 102.274,52 EUR.

Sie ist als Fachärztin für Diagnostische Radiologie niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit dem ebenfalls als Facharzt für Diagnostische Radiologie zugelassenen Beigeladenen betrieb sie eine zwischenzeitlich beendete Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Nachfolgend führte sie zunächst eine Einzelpraxis. Seit dem 01.10.2010 ist sie in einer neuen BAG tätig.

Der an die ehemalige BAG adressierte Honorarbescheid vom 27.04.2010 weist für das Quartal IV/2009 ein Gesamthonorar-Saldo von 106.510,39 EUR aus. Abzüglich Verwaltungskosten, Kosten Notfallpraxis und Beitrag zur Ärzteversorgung verbleibt ein Restguthaben in Höhe von 102.274,52 EUR, das die Antragsgegnerin nicht ausgezahlt hat. Die Antragstellerin hat am 30.08.2010 zum Az. S 14 KA 418/10 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage auf Auszahlung des Restguthabens erhoben.

Die Antragsgegnerin hob mit Bescheid vom 26.11.2010 die Honorarbescheide für die Quartale II/2001 bis III/2009 im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung wegen Gestaltungsmissbrauchs (verdeckte Anstellung) teilweise auf und forderte von der Antragstellerin und dem Beigeladenen Honorar in Höhe von insgesamt 1.635.622,71 EUR zurück. Hiergegen haben die Antragstellerin und der Beigeladene Widerspruch eingelegt. Den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wi...

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