Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe für einen Unionsbürger bei dessen Erwerbsfähigkeit
Orientierungssatz
1. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 2 mit der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen erfüllt, so führt dies dazu, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12 ausscheidet. Dies ergibt sich bereits aus einer grammatischen Auslegung des § 21 S. 1 SGB 12.
2. Für den Antragsteller von Leistungen der Sozialhilfe ist die Anwendung der Vorschriften des SGB 12 aufgrund der Bestimmung des § 21 S. 1 SGB 12 ausgeschlossen. Damit kommt es nicht darauf an, ob dem Antragsteller im Fall eines grundsätzlichen Leistungsanspruchs nach dem SGB 12 ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 SGB 12 zusteht, vgl. BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R.
3. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10. Dem Unionsbürger steht es regelmäßig frei, in sein Heimatland zurückzukehren und dort eine Tätigkeit aufzunehmen oder auf die dortigen sozialen Sicherungssysteme zurückzugreifen. Auf Leistungen der BRD sind EU-Ausländer zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz regelhaft nicht angewiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich eines Leistungsausschlusses bestehen damit nicht.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.02.2016 geändert: Der Antrag der Antragsteller auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Rahmen eines Verfahrens auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Höhe des jeweiligen Regelsatzes.
Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Die am 00.00.1976 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.1993 geborenen Antragstellerin zu 2), der am 00.00.1998 geborenen Antragstellerin zu 3) und des am 00.00.2000 geborenen Antragstellers zu 4). Sie leben gemeinsam in einer Mietwohnung in I. Nach ihren Angaben verfügen sie über kein Einkommen und Vermögen.
Die Antragsteller zu 2) bis 4) halten sich seit dem 21.10.2014 in Deutschland auf und wohnten zunächst zusammen mit ihrem Onkel in I. Die Antragstellerin zu 1) war währenddessen in Griechenland inhaftiert. Sie reiste erst am 07.09.2015 nach Deutschland ein. Die Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) gingen und gehen derzeit keiner Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland nach. Nach ihrem Vortrag sind und waren sie wirtschaftlich inaktiv. Die achtzehnjährige Antragstellerin zu 3) besucht derzeit einen Bildungsgang auf einem Berufskolleg, der sechzehnjährige Antragsteller zu 4) eine Hauptschule. Auch die Antragsteller zu 3) und zu 4), wie deren Vater, sind in der Bundesrepublik Deutschland noch keiner Beschäftigung nachgegangen.
Die Antragsteller zu 2) - 4) bezogen bis zum 31.12.2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II, die ihnen von dem Sozialgericht Dortmund in einem Verfahren auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Beschluss vom 30.10.2015 - S 32 AS 3492/15 ER -) zugesprochen worden waren.
Mit Blick auf das Auslaufen der vorstehenden Leistungen beantragten die Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 23.12.2015 bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB XII. Mit Schreiben vom 11.01.2016 erinnerten sie an die Bescheidung des Antrags und setzten eine Frist bis zum 20.01.2016. Gleichwohl reagierte die Antragsgegnerin nicht, so dass die Antragsteller am 21.01.2016 das Sozialgericht Dortmund um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben. Sie haben sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII im gesetzlichen Umfang zu gewähren.
Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten. Die Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) seien als Erwerbsfähige dem Grunde nach nach dem SGB II leistungsberechtigt, so dass sie wegen § 21 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten könnten. Der entgegenstehenden Entscheidung des BSG vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - sei nicht zu folgen. Die Rechtsprechung des BSG widerspreche dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der auch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden habe. Mit dem Hinwegsetzen über den eindeutigen gesetzgeberischen Willen habe das BSG seine Befugnisse als rechtsprechende Gewalt überschritten und somit gegen den in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen. Im Übrigen seien Ansprüche nach dem SGB XII für die Antragsteller auch wegen dem in § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII normierten Leistungsausschluss nicht gegeben. Der Leistungsausschluss beziehe sich entgegen der vorzitierten Rechtsprechung des BSG auch auf die in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII normierten Ermessensleistung...