Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsrecht. Unterkunftskosten. Angemessenheitsprüfung. Nachweis eines konkreten Wohnungsangebots. Anmietung einer Privatwohnung. Gemeinschaftsunterkunft. Mutter mit minderjährigem deutschen Kind. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Ein Hilfesuchender, der zur Deckung seines notwendigen Unterkunftsbedarfs eine Wohnung anmieten möchte und über ein konkretes Mietangebot verfügt, welches der Vermieter von der Zustimmung des Sozialhilfeträgers abhängig macht, kann eine Zustimmungserklärung zur Anmietung einer angemessenen Wohnung beanspruchen.
2. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ist das Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter (Produkttheorie) (Anschluss an LSG Stuttgart vom 25.1.2006 - L 8 AS 4296/05 ER-B).
3. Ein hilfesuchender deutscher Staatsangehöriger im Kleinkindalter, der mit seiner Mutter zusammenlebt, die Leistungen nach § 3 AsylbLG bezieht, hat gemäß §§ 19 Abs 1, 29 Abs 1 SGB 12 Anspruch auf Übernahme angemessener Kosten der Unterkunft. Er kann nicht auf die Zurverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit in einem Übergangswohnheim für Asylbewerber verwiesen werden.
4. Die Entscheidung, ob ausnahmsweise Geldleistungen anstelle von Sachleistungen zu gewähren sind, trifft der Sozialhilfeträger nach pflichtgemäßem Ermessen nach den Grundsätzen des SGB 12 und AsylbLG. Das Ermessen ist reduziert, wenn nur eine Entscheidung, die beiden die Anmietung einer Wohnung ermöglicht, ermessensfehlerfrei ist. Zur Verwirklichung der dem hilfesuchenden minderjährigen Kind zustehenden sozialen Rechte (Art 1 Abs 1 GG, § 1 SGB 12) und unter Beachtung des grundgesetzlichen Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG) ist auch die Gewährung von Geldleistungen gemäß § 3 Abs 2 S 1 AsylbLG zur anteiligen Übernahme der Unterkunftskosten an die Mutter gerechtfertigt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.03.2008 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) die Zustimmung zur Anmietung der Wohnung H-Straße 00 in B zu erteilen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin T bewilligt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen die Zustimmung zur Anmietung einer Privatwohnung zu erteilen und die laufenden Kosten für die Unterkunft zu übernehmen.
Der am 00.00.2007 geborene Antragsteller zu 1) ist deutscher Staatsangehöriger und der Sohn der Antragstellerin zu 2).
Die Antragstellerin zu 2) ist ghanaische Staatsangehörige und im Jahre 2006 ins Bundesgebiet eingereist. Sie verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Seit Dezember 2006 erhält sie Leistungen von der Antragsgegnerin nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Sie hat das alleinige Sorgerecht für den Antragsteller zu 1). Bis Mitte April wohnten beide Antragsteller zusammen mit dem Kindsvater in einer Privatwohnung. Die Antragsgegnerin trug die für die Antragsteller anfallenden anteiligen Unterkunftskosten und gewährte der Antragstellerin zu 2) zudem Zusatzleistungen gemäß § 3 II AsylbLG. Nach tätlichen Auseinandersetzungen mit dem Kindsvater hielt sich die Antragstellerin zu 2) vorübergehend in einem Frauenhaus auf und wurde anschließend ab dem 01.05.2007 zusammen mit dem Antragsteller zu 2) von der Antragsgegnerin in dem städtischen Übergangswohnheim T-Straße 00 in B untergebracht. Seit Juli 2007 wohnt sie mit dem Antragsteller zu 1) in dem städtischen Übergangswohnheim M-Straße 0 in B. Dort verfügen beide Antragsteller über einen 22 qm großen Wohnbereich, bestehend aus zwei abgetrennten Räumen (Wohnküche und Schlafraum).
Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller zu 1) ab dem 01.05.07 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - (SGB XII) unter Berücksichtigung der hälftigen Unterkunftskosten in Höhe von 75,38 EUR. Mit Bescheid vom 24.05.2007 stellte die Antragsgegnerin die laufenden Leistungen mit Wirkung ab dem 01.06.2007 ein, weil der Antragsteller zu 1) unter Berücksichtigung seines Einkommens (Kindergeld und Unterhaltsvorschuss) nicht bedürftig sei. Wegen der Begründung im Einzelnen und der Berechnung der Antragsgegnerin wird auf den Bescheid vom 24.05.2007 Bezug genommen.
Am 16.01.2008 beantragte der Antragsteller zu 1) Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII einschließlich der Übernahme anteiliger Unterkunftskosten für die Wohnung H-Straße 00 in B. Unter demselben Datum beantragte die Antragstellerin zu 2) für sich die anteilige Übernahme der Unterkunftskosten für die Wohnung H-Straße 00....