Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungsrecht: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Kranführertätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Beitragshaftung bei unwirksamer Arbeitnehmerüberlassung

 

Orientierungssatz

1. Die Tätigkeit eines Kranführers, der durch ein Unternehmen gegen eine feste Stundenvergütung jeweils auf Baustellen vermittelt und dort auf Veranlassung und Führung der dortigen Entscheidungsträger auf vorhandenen Kränen eingesetzt wird, stellt regelmäßig eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung dar. Dabei verweist auch allein der Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung durch den Kranführer nicht auf eine eigenverantwortliche selbständige Tätigkeit.

2. Bei einer Arbeitnehmerüberlassung ohne diesbezügliche Genehmigung (hier: Vermittlung von als selbständig Tätige ausgewiesenen Kranführern) haftet der Vermittler der Arbeitnehmer neben dem Beschäftigungsunternehmen als Gesamtschuldner für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere wenn der Vermittler auch die vereinbarte Vergütung an die Vermittelten auszahlt.

 

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt G T für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.3.2012 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 95.426,12 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wehrt sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die Antragstellerin, die ihren Geschäftsbetrieb nach eigenen Angaben bereits seit Längerem eingestellt hat, betrieb ein Unternehmen zur Vermittlung von selbständigen Kranführern ohne eigenen Kran (Gewerbeummeldung v. 10.10.2006). Über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte sie nicht. Sie schloss mit im Internet angeworbenen, mehrheitlich polnischen Kranführern "Vermittlungsverträge", in denen die Baustelle, der Stundensatz sowie ggf. eine Tagespauschale festgelegt waren. Der Stundensatz lag - von zwei Ausnahmen abgesehen - bei 18 Euro. Vereinbarungsgemäß galten die unterschriebenen Stundennachweise als Grundlage der Abrechnung der Kranführer gegenüber der Antragstellerin, die ihrerseits Verträge mit den Bauunternehmen geschlossen hatte. Die Kranführer hatten eine Gewerbeerlaubnis und eine Steuernummer.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung vom 23.10.2010 bis 16.8.2011, gestützt auf Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes (HZA) Krefeld, forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin für den Prüfzeitraum vom 1.4.2006 bis 30.9.2008 insgesamt 381.704,47 Euro nach, darin enthalten 126.207,50 Euro an Säumniszuschlägen (Bescheid v. 19.9.2011). Zur Begründung führte sie aus, die Kranführer seien von der Antragstellerin abhängig beschäftigt worden. Sie seien in den Arbeitsablauf der Baufirmen eingebunden gewesen, hätten Weisungen hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort ihrer Beschäftigung erhalten, weder eigene Kräne oder anderweitige Betriebsmittel von Gewicht eingesetzt noch sonst ein unternehmerisches Risiko getragen. Die Beiträge rechnete die Antragsgegnerin nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) auf der Grundlage der gezahlten Entgelte sowie der Lohnsteuerklasse VI hoch.

Die Antragstellerin hat Widerspruch erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie hat vorgetragen: Nach Vermittlung habe sie keinerlei Einfluss mehr auf die Tätigkeit der Kranführer gehabt. Die von diesen verrichteten Arbeiten seien vielmehr auf Veranlassung und Führung der maßgeblichen Entscheidungsträger der verschiedenen Bauunternehmen durchgeführt worden. Die Kranführer hätten nicht nur für ein bestimmtes Bauunternehmen gearbeitet, sondern für eine Vielzahl verschiedener Unternehmen. Es habe keine regelmäßigen Arbeitszeiten gegeben. Sobald ein Auftrag beendet gewesen sei, hätten die Kranführer die Baustelle wieder verlassen. Es habe im Übrigen auch keine generelle Anwesenheitspflicht geherrscht. Die Stundenvergütung der vermittelten Kranführer sei sehr viel höher gewesen als bei angestellten Kranführern. Die Kranführer hätten über eine Betriebshaftpflichtversicherung verfügt, die bei Fehlverhalten auch in Anspruch genommen worden sei. Die Geltendmachung der Nachforderung bedeute für sie, die Antragstellerin, und ihre Gesellschafter eine unbillige Härte. Zum Abschluss einer Stundungsvereinbarung seien die Beteiligten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage. Die Antragstellerin hat eine ihren Vortrag bestätigende eidesstattliche Versicherung ihrer Gesellschafter vorgelegt.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat den angefochtenen Bescheid verteidigt und vorgetragen, die Antragstellerin könne zur Abwehr einer Existenzgefährdung einen Stundungsantrag stellen.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die...

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