Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Stichprobenprüfung. Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung von Zeitarbeitsfirmen wegen Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP). Beitragsforderungen aufgrund equal-pay-Ansprüche. Bindungswirkung eines Bescheides. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Beitragsbescheid nur bzgl verjährter Beitragsansprüche
Orientierungssatz
1. Zeitarbeitsfirmen, die Leiharbeitnehmern jahrelang zu Unrecht weniger Lohn gezahlt haben als die Entleiher ihren Stammbelegschaften, müssen wegen der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP), die die Unwirksamkeit des die Grundlage für die niedrigen Löhne bildenden Tarifvertrages zur Folge hat, bis zur Grenze der Verjährung in § 25 Abs 1 S 1 SGB 4 Sozialversicherungsbeiträge auf die Differenz nachzahlen.
2. Gegen die Geltendmachung der Beitragsnachforderung in einem Summenbescheid (§ 28f Abs 2 S 1 SGB 4) auf der Basis einer Schätzung des equal-pay-Lohnes (§ 28f Abs 2 S 3 SGB 4) bestehen keine ernsthaften Bedenken.
3. Die Bindungswirkung eines Bescheides erfasst grundsätzlich nur dessen Verfügungssatz bzw -sätze, nicht hingegen die Gründe, die zu der Regelung geführt haben (vgl BSG vom 20.6.1984 - 7 RAr 91/83 = SozR 4100 § 112 Nr 23 und vom 28.6.1990 - 7 RAr 22/90 = BSGE 67, 128 = SozR 3-4100 § 137 Nr 1).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.1.2012 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 1.12.2011 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin Nachforderungen für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis zum 31.12.2006 geltend macht.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin drei Viertel, die Antragsgegnerin ein Viertel.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 16.068,70 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, ein Personaldienstleistungsunternehmen, wehrt sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verpflichtung, Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen.
Mit Bescheid vom 14.4.2010 erhob die Antragsgegnerin im Anschluss an eine - wörtlich - "stichprobenweise durchgeführte" Betriebsprüfung betreffend den Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 31.12.2009 eine Nachforderung von insgesamt 1.415,93 Euro. Zugrunde lagen Fehlbeurteilungen der Versicherungspflicht bzw. Versicherungsfreiheit von Beschäftigten. Darüber hinaus wertete die Antragsgegnerin das Ergebnis der Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamtes C für den Prüfzeitraum vom 1.3.2003 bis 31.5.2007 aus, kam insoweit jedoch nicht zu Nachforderungen.
Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) führte die Antragsgegnerin erneut eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin durch und kam zu einer Nachforderung von 64.274,80 Euro (Bescheid v. 1.12.2011). Zur Begründung führte sie aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern werde für den gesamten Prüfzeitraum auf den Tarifvertrag zwischen der CGZP und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) verwiesen. Auf der Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des Tarifvertrages hätten die Beiträge jedoch zutreffend nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers berechnet werden müssen. Der Antragstellerin sei eine listenmäßige Aufstellung aller bei ihr beschäftigter Arbeitnehmer mit Zeiträumen, Beitragsgruppen, Krankenkassen und Entgelten per CD zur Verfügung gestellt worden (sog. CGZP-Tool). Diese habe die Lohnsumme um die Lohnzahlungen aufgrund von Zeiten, in denen kein equal-pay-Anspruch bestanden habe, bereinigt. Sodann habe sie, die Antragsgegnerin, die Höhe der Arbeitsentgelte geschätzt. Hierzu sei sie befugt gewesen, weil eine Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen wäre. Eine große Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse habe nur bis zu drei Monaten gedauert. Es sei für die Antragstellerin nur zum Teil möglich gewesen, schriftliche Erklärungen über equal-pay-Löhne zu bekommen. Entleiher seien zum Teil nicht bereit gewesen, schriftliche Erklärungen abzugeben. Zum Teil hätten jedoch auch Auskünfte der Entleiher vorgelegen, denen zufolge die Antragstellerin teilweise equal-pay-Löhne gezahlt habe. Eine Umfrage bei den Arbeitnehmern habe ein Lohndifferential von 12,5 % ergeben. Ihre, der Antragsgegnerin, eigenen Ermittlungen zeigten eine durchschnittliche Lohndifferenz zwi...