Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall eines Befreiungsbescheides zur Teilnahme eines Vertragsarztes am Notfalldienst infolge einer Rechtsänderung
Orientierungssatz
1. Die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst folgt aus seinem Zulassungsstatus. Eine etwaige atypische Sachverhaltskonstruktion ist vom betroffenen Vertragsarzt mittels eines Befreiungsantrags geltend zu machen. Über den geltend gemachten Befreiungstatbestand ist in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.
2. Hat die Kassenärztliche Vereinigung den Vertragsarzt bis auf Widerruf von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst befreit, so ist dem Vertragsarzt vor Erlass eines Widerrufsbescheides nach § 24 SGB 10 Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine fehlende Anhörung kann bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
3. Unabhängig hiervon entfällt eine Befreiung des Vertragsarztes von der Teilnahme am Notfalldienst, wenn sich der ergangene Befreiungsbescheid i. S. von § 39 Abs. 2 SGB 10 auf andere Weise erledigt hat. Das ist dann der Fall, wenn durch eine Änderung der Sach- und Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts entfällt. Maßgebend ist insoweit, ob Bestand und Rechtswirkungen des Befreiungsbescheides für den Antragsteller erkennbar an dem Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden waren.
4. Waren die Rechtswirkungen des Befreiungsbescheides an eine rechtliche Ordnung geknüpft, die sich zu Ungunsten des Vertragsarztes durch eine neu geschaffene Rechtsordnung nicht unerheblich geändert hat, so konnte der Vertragsarzt nicht erwarten, dass die Befreiung dauerhaft fortwirkt. In einem solchen Fall kann er sich auf den Befreiungsbescheid nicht mehr berufen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 26.03.2012 abgeändert. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21.12.2011 wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Umstritten ist, ob der als Facharzt für Anästhesiologie in einer Gemeinschaftspraxis in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Antragsteller vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien ist.
Nachdem der Antragsteller unter Hinweis auf eine beidseitige Glaskörpertrübung ein ihm auferlegtes Nachtfahrverbot nachgewiesen hatte, wurde er mit Bescheid vom 10.08.2006 nach § 11.3 a der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (GNO) vom 12.12.2001/26.01.2002 bis auf Widerruf von der Teilnahme am organisierten ärztlichen Notfalldienst antragsgemäß befreit. Mit nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenem Schreiben vom 13.09.2011 hob die Antragsgegnerin durch den Leiter der Bezirksstelle Arnsberg diese Befreiung "ab sofort" auf und bat den Antragsteller, den Fahrdienst und Sitzdienst zu den angegebenen Terminen wahrzunehmen. Der Notfalldienstausschuss habe am 12.09.2011 den Widerruf der Befreiung beschlossen, weil die Ärzte mit Beginn der Notfalldienstreform zum 01.02.2011 im Fahrdienst zu den Hausbesuchen von einem Fahrer abgeholt würden und damit die Gründe für eine Befreiung entfallen seien.
Unter dem 23.10.2011 stellte der Antragsteller erneut einen Befreiungsantrag und führte aus: Wegen des bestehenden Nachtfahrverbots könne er die 40 bis 70 km entfernt gelegenen Standorte des Sitzdienstes nachts nicht anfahren. Im Übrigen seien er und sein Praxispartner aufgrund ihrer Kooperation mit Kliniken in der näheren Umgebung und operativ tätigen niedergelassenen Kollegen täglich im Einsatz, denn neben ihrer anästhesiologischen Tätigkeit bei Operationen müssten sie alle notwendigen Rufdienste leisten und im Rahmen der intensivmedizinischen Nachsorge im Krankenhaus auch an den Wochenenden zur Verfügung stehen. Dabei anfallende Fahrten würden für ihn persönlich "hausintern" geregelt.
Mit Bescheid vom 29.11.2011 lehnte die Antragsgegnerin den Befreiungsantrag ab. Am 27.12.2011 legte der Antragsteller sowohl hiergegen als auch gegen den "Bescheid vom 13.09.2011" Widerspruch ein. Bereits unter dem 21.12.2011 hatte die Antragsgegnerin durch ihre Bezirksstelle Arnsberg einen "Bescheid über die Heranziehung zum allgemeinen ärztlichen Notfalldienst für die Zeit vom 01.02.2012 bis 31.01.2013" erlassen, mit dem sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Antragsteller gemäß beigefügtem Dienstplan für vier Fahrdienste und drei Sitzdienste einteilte. Am 03.01.2012 erhob der Antragsteller auch gegen diesen Bescheid Widerspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 23.01.2012 führte die Antragsgegnerin erläuternd aus, dass der Antragsteller trotz seiner Widersprüche rechtmäßig zum Notfalldienst herangezogen worden sei und sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2011 keine aufschiebende Wirkung h...