Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlungsumfang des Gerichts zur Hilfebedürftigkeit des Antragstellers bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind bei der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht im Sinn der positiven Feststellung zu beweisen, sondern lediglich glaubhaft zu machen. Solche Leistungen dürfen nicht durch bloßes Infragestellen der Hilfebedürftigkeit versagt werden. Ermittlungsumfang und Ermittlungstiefe des Gerichts werden wesentlich durch das Vorbringen des Antragstellers bestimmt. Hat der Antragsteller seine Einkommenssituation glaubhaft dargelegt und steht danach existenzsicherndes Einkommen nicht zur Verfügung, so ist von dessen Hilfebedürftigkeit auszugehen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.

2. Weil im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden kann, ob ein rumänischer Staatsangehöriger als Unions-Neubürger vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 erfasst wird, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen regelmäßig zugunsten des Antragstellers aus, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.03.2013 geändert: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 01.04. bis 31.07.2013 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren. Im Übrigen werden die Beschwerden der Antragsteller und des Antraggegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu tragen.

 

Gründe

I. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige, die im Jahre 1972 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter des 2006 geborenen Antragstellers zu 2) und des 1999 geborenen Antragstellers zu 3), mit denen sie in einem Haushalt zusammenlebt. Alle Antragsteller sind Inhaber einer Bescheinigung nach § 2 Abs. 1 iVm § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigG/EU), die mit der Auflage verbunden ist, dass sie zur Aufnahme einer unselbständigen arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU benötigen. Die Bescheinigungen wurden für die Antragsteller zu 1) und 2) unter dem 03.06.2012 ausgestellt, die des Antragstellers zu 3) unter dem 23.04.2009. In der Zeit von 1990 bis 1999 hielt sich die Antragstellerin bis auf eine dreimonatige Unterbrechung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach ihren Angaben im Eilverfahren reiste der in Deutschland geborene Antragsteller zu 3) bereits im Jahre 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein, lebte dort bei seinem Vater und erhielt als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Der Vater sei im April 2011 inhaftiert worden. Der Antragsteller sei im Mai in die Obhut des Jugendamtes genommen worden. Die Antragstellerin sei ebenfalls im Mai mit dem Antragsteller zu 2) nach Deutschland gekommen, um den Antragsteller zu 3) zu sich zu nehmen. Sie habe mit ihren Kindern bei einer Person gelebt, die auch Schwierigkeiten gehabt habe; deshalb sei sie dort nicht gemeldet gewesen und habe die Kinder auch nicht zur Schule geschickt.

Am 08.10.2012 beantragte die Antragstellerin für sich und die Antragsteller zu 2) und 3) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Gegenüber dem Antragsgegner gab sie an, vor etwa sechs Monaten mit den Kindern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Sie habe zunächst von Ersparnissen gelebt und habe in der Zeit von Juli bis Oktober 2012 vergeblich versucht, über eine selbstständige Erwerbstätigkeit (Seniorenbetreuung; Hotelservice) ihren Lebensunterhalt sicherzustellen; das Gewerbe habe sie zum 10.10.2012 wieder abgemeldet.

Durch Bescheid vom 19.10.2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag mit der Begründung ab, das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin gründe sich allein auf den Zweck der Arbeitssuche. Deshalb sei sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach den Vorschriften des SGB II ausgenommen. Im Widerspruchsverfahren beantragte die Antragstellerin einen Vorschuss, da sie die von dem Antragsgegner im Verwaltungsverfahren ursprünglich angeforderten Unterlagen beigebracht habe. Sie bat um Weiterleitung des Antrags an den Sozialhilfeträger, falls sich der Antragsgegner nicht für zuständig erachten sollte, verwies aber gleichzeitig auf die Vorleistungspflicht des zuerst angegangenen Leistungsträgers.

Den Widerspruch wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 07.01.2013 zurück. Mit der hiergegen am 18.02.2013 erhobenen Klage beantragten die Antragsteller vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, fall...

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