Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Vollziehung eines Honorarrückforderungsbescheides einer Kassenärztlichen Vereinigung. Glaubhaftmachung des hierzu erforderlichen Anordnungsgrundes. Existenzgefährdung

 

Orientierungssatz

1. Begehrt ein Vertragsarzt gegen die Vollziehung eines Honorarrückforderungsbescheides die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz, so muss er zur Glaubhaftmachung des hierzu erforderlichen Anordnungsgrundes bei Geltendmachung einer Existenzgefährdung eine entsprechende wirtschaftliche Situation glaubhaft machen. Macht er erhebliche Zahlungsverpflichtungen geltend, so fehlt es am Anordnungsgrund, wenn diese nicht kausal durch den Betrieb der Arztpraxis entstanden sind.

2. In der Regel muss hinzukommen, dass der Antragsteller glaubhaft macht, personelle und organisatorische Effizienzoptimierungsmaßnahmen ausgeschöpft zu haben. Soweit der Vertragsarzt aus anderen Rechtsgründen als in dem Betrieb der Praxis zu Leistungen verpflichtet ist, fallen diese in seine Sphäre und können im Rahmen der Prüfung des Anordnungsgrundes nicht dem Regress- bzw Rückzahlungsanspruch entgegengehalten werden.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24.09.2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 40.607,23 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Vollziehung eines Honorarrückforderungsbescheides über 270.714,88 EUR.

Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und nimmt als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Zeitweise führte er die Praxis mit dem ebenfalls an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Facharzt für Innere Medizin X und dem fachärztlichen Internisten Dr. T in einer unter den Beteiligten im Einzelnen nach Rechtsnatur und Zeit umstrittenen Kooperationsform.

Nachdem ein Gespräch zwischen den Beteiligten und daran anschließende Vergleichsgespräche ergebnislos blieben, stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.01.2015 die Abrechnungen des Antragstellers für die Quartale IV/2008 bis III/2014 unter entsprechender Aufhebung der jeweiligen Honorar-/Abrechnungsbescheide sachlich-rechnerisch richtig und forderte insgesamt 270.714,88 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus: Nach § 106a Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) habe die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Abrechnungen der Vertragsärzte auf sachlich-rechnerische Richtigkeit und dabei auch auf Plausibilität der Abrechnungen zu überprüfen. Nach § 11 Abs. 1 der hierzu erlassenen Richtlinien sei bei versorgungsbereichsidentischen Praxen eine Abrechnungsauffälligkeit zu vermuten, wenn das Patientengut der Praxen zu mehr als 20 % identisch sei. Der Antragsteller und sein Kooperationspartner X hätten nach Beendigung der bis Ende September geführten Gemeinschaftspraxis zum 01.10.2008 unter derselben Anschrift eine Praxisgemeinschaft gebildet (wird ausgeführt). Eine Überprüfung der Abrechnungen für die Quartale IV/2008 bis III/2014 habe identische Patientenanteile zwischen 27,69 % und 63,41 % ergeben. Bei den "Doppelbehandlungen" sei überwiegend die Scheinuntergruppe 42 (Urlaubs- und Krankheitsvertretung) angelegt worden. Auf den Behandlungsscheinen seien fast ausschließlich Versichertenpauschalen und nur ausnahmsweise die GOP 04130 (Verwaltungskomplex, z.B. für die Ausstellung eines Rezepts oder eine Überweisung) abgerechnet worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine missbräuchliche Nutzung der Organisationform einer fachgleichen Praxisgemeinschaft jedenfalls dann anzunehmen, wenn mehr als 50 % aller Patienten von den beteiligten Ärzten gemeinsam behandelt würden. Das sei vorliegend in zwölf der in Rede stehenden Quartale der Fall. Dabei seien Mehrfachbehandlungen aufgrund von Überweisungen zu Leistungen, die in der überweisenden Praxis nicht angeboten würden, grundsätzlich entlastend anzuerkennen. In den streitbefangenen Quartalen habe der Antragsteller nur in wenigen Behandlungsfällen Patienten an seinen Kooperationspartner X überwiesen, damit dieser Sonographien oder Langzeit-EKGs durchführe. In vier der anderen Quartale habe die Überschreitungsquote noch bei über 40 % und in sechs weiteren bei über 30 % gelegen. Schon diese Höhe indiziere eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform. Auch nach den Angaben des Antragstellers beruhten die Patientenidentitäten "fast größtenteils" auf Vertretungsfällen bei Abwesenheit des jeweiligen Kooperationspartners. Eine so hohe und über mehrere Quartale bestehende Überschreitungsquote lasse sich hiermit nicht erklären (wird ausgeführt). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen habe in seinem Urteil vom 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - angenommen, dass üblicherweise - inklusive Vertretungen - nur Patientenidentitäten von 3 bis 5 % aufträten; die Literatur gehe von maximal 15 % aus. Der durchgängig festgestellte überhöhte Anteil identischer Patienten indiziere auch in den Quartale...

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