Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Verträge nach § 127 Abs 2 SGB 5 keine entgeltlichen Verträge iS von § 99 Abs 1 GWB. Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf den Abschluss eines Rabattvertrages im Rahmen einer Hilfsmittelausschreibung
Orientierungssatz
1. Beim Abschluss von Hilfsmittelrabattverträgen handeln die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber iS des § 98 Nr 2 GWB.
2. Hat eine Krankenkasse mit einem Hersteller eine Vereinbarung nach § 127 Abs 1 SGB 5 geschlossen, so hat die Versorgung der Versicherten nach § 33 Abs 6 SGB 5 durch den Vertragspartner zu erfolgen. Der Zuschlagsempfänger erwirbt dann eine gesetzlich abgesicherte Sonderstellung im Wettbewerb.
3. Der Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs 1 GWB hat zum Ziel, sämtlichen potentiellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand zu ermöglichen. Die aus dem Wettbewerbsgrundsatz resultierenden Ge- und Verbote gelangen erst dann zur Anwendung, wenn durch den öffentlichen Auftraggeber eine Auswahlentscheidung zu treffen ist.
4. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union tragen die Verantwortung für die Festlegung der Gesundheitspolitik sowie die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Das Gemeinschaftsrecht lässt die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für den Erlass von Regelungen zur Organisation von Diensten des Gesundheitswesens unberührt.
5. Dem Erfordernis der gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsfreiheit wird bei Verträgen, die nach § 127 Abs 2 SGB 5 ohne Durchführung von Vergabeverfahren geschlossen werden, dadurch Rechnung getragen, dass es Leistungserbringern aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union diskriminierungsfrei möglich ist, sich mit Angeboten in die Vertragsverhandlungen einzubringen und ihr Beitrittsrecht gem § 127 Abs 2a SGB 5 auszuüben.
6. Für eine Auswahlentscheidung (und damit gleichzeitig für die Annahme eines öffentlichen Auftrages) ist kein Raum, wenn Verträge nach Maßgabe des § 127 Abs 2 SGB 5 geschlossen werden.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 63) wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 12.11.2009 aufgehoben und der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die den Antragsgegnerinnen sowie den Beigeladenen zu 10) und 63) zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen trägt die Antragstellerin. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 63) trägt die Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladenen zu 10) und 63) im Verfahren vor der Vergabekammer sowie im Beschwerdeverfahren durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene zu 63) wird für notwendig erklärt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (AS) betreibt ein Sanitätshandelsunternehmen. Sie beanstandet, dass die Antragsgegnerinnen (AG) mit den Beigeladenen (BG) Verträge über die Lieferung von Hilfsmitteln ohne europaweite Ausschreibung abgeschlossen haben.
Die AG machten am 03.09.2009 auf der Homepage der AG zu 1) ihre Absicht bekannt ("Bekanntmachung der Vertragsabsicht"), bundesweite und regionale Verträge nach § 127 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über die Versorgung ihrer Versicherten mit Rollatoren/Deltarädern, Medikamentenverneblern für die unteren Atemwege, Inkontinenzhilfen und Blutdruckmessgeräten (Produktgruppen 10, 14, 15 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V) zu schließen (Frist zur Angebotsabgabe: 22.09.2009). Angebote konnten für sämtliche Produktgruppen abgegeben werden.
Nachdem die AG eine schriftliche Anfrage der AS vom 10.09.2009 dahingehend, ob eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften erfolgt sei, zunächst unbeantwortet gelassen hatten, rügte die AS mit Schreiben vom 17.09.2009, dass eine europaweite Ausschreibung der Versorgungsverträge nicht erfolgt sei.
Hierzu vertraten die AG den Standpunkt, dass sie zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens nicht verpflichtet seien. Dies ergebe sich aus § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 (BGBl. I 2626). Krankenkassen sei danach die Möglichkeit eröffnet, die Versorgung ihrer Versicherten auch über Verträge nach § 127 Abs. 2 oder 3 SGB V sicherzustellen. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Versorgung durch aufgrund von Ausschreibungen geschlossenen Verträgen nicht zweckmäßig sei. Entsprechendes ergebe sich aus den vom GKV-Spitzenverband und den Spitzenorganisationen und sonstigen Organisationen der Leistungserbringer auf Bundesebene vereinbarten "Gemeinsamen Empfehlungen gemäß § 127 Abs. 1a SGB V zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen vom 2. Juli 2009" ("Gemeinsame Empfehlungen"). Danach spiele bei der Prüfung der Zweckmäßi...