Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung bei nicht genehmigter Ortsabwesenheit des Leistungsberechtigten
Orientierungssatz
1. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten nach § 7 Abs. 4a S. 1 SGB 2 keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des Grundsicherungsträgers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Ein Verstoß führt zum Wegfall des Leistungsanspruchs kraft Gesetzes.
2. Der Bewilligungsbescheid ist nach §§ 40 Abs. 1 SGB 2, 48 Abs. 1 SGB 10 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Die ausbezahlten Leistungen sind nach § 50 Abs. 1 SGB 10 zu erstatten.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 25.01.2021 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das gegen die (teilweise) Aufhebung eines Bewilligungsbescheides wegen einer nicht genehmigten Ortsabwesenheit gerichtet ist.
Der 1980 in U, Libyen, geborene Kläger hat ein Architekturstudium erfolgreich abgeschlossen und war neben einer Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma bis Anfang 2018 selbständig als Dolmetscher tätig. Er beantragte am 15.03.2018 bei der Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und gab hierbei an, alleinstehend zu sein. Mit Bescheid vom 11.04.2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2018 bis zum 30.04.2019 Leistungen iHv monatlich 998,04 EUR (Regelbedarf iHv 416 EUR zuzüglich Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv 582,04 EUR). Auf Seite 6 des Bescheides heißt es: "Sie müssen immer unter der von ihnen benannten Adresse erreichbar sein. Sie sind verpflichtet, den Zeitraum und die Dauer einer geplanten Ortsabwesenheit mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner vorher abzustimmen. Unerlaubte Abwesenheit kann dazu führen, dass Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II wegfällt und zurückgefordert wird." Mit Bescheid vom 03.08.2018 hob die Beklagte den Bescheid vom 11.04.2018 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2018 bis zum 30.04.2019 Leistungen iHv nur noch 962,28 EUR monatlich (Regelbedarf iHv 416 EUR zuzüglich Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv 546,28 EUR). Mit E-Mail vom 25.04.2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, er befinde sich momentan im Gazastreifen. Er wolle die "Leistungsbewilligung weiter verlängern", weil er nach Deutschland zurückkehren wolle, was wegen der politischen Situation derzeit aber nicht möglich sei. Da er die Situation nicht gut verarbeiten könne, sei er auch stationär psychologisch behandelt worden. Er übersandte eine Bescheinigung der "Palestinian National Authority" vom 08.04.2019 in englischer Sprache, gemäß der er den Gazastreifen wegen einer Schließung der Grenzübergänge nicht verlassen habe. Weiter fügte er ein Attest des Psychiaters Dr. B P vom 09.04.2019 ebenfalls in englischer Sprache bei, das ohne Angabe eines Behandlungszeitraums das Vorliegen behandlungsbedürftiger Panikattacken bestätigt. Die Beklagte bat den Kläger in der Folge per E-Mail um Mitteilung, seit wann er nicht mehr in Münster sei. Gemäß § 7 Abs. 4a SGB II bestehe kein Leistungsanspruch, wenn der Leistungsberechtigte sich ohne vorherige Zustimmung außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalte. Eine weitere Leistungsbewilligung könne erst erfolgen, wenn der Kläger sich zurückgemeldet habe. Mit E-Mail vom 05.05.2019 führte der Kläger aus, er habe seinem "Coach" T I im Vorfeld mitgeteilt, wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters in den Gazastreifen reisen zu wollen. Herr I habe ihm gesagt, er könne fliegen, weil er auf einer "Warteliste" stehe und es noch lange dauere, bis er einen Platz bekomme. Der Kläger übersandte ein am 24.12.2018, 0:16 Uhr gebuchtes Online-Ticket für eine Bahnfahrt von Münster Hbf nach Frankfurt/Main Flughafen am 29.12.2018 um (Abfahrt 7:27 Uhr, Ankunft 10:07 Uhr) sowie eine Buchungsbestätigung der Egyptair vom 20.12.2018 über einen Flug von Frankfurt/Main nach Kairo am 29.12.2018 (Abflug 15:25 Uhr) und über einen Rückflug von Kairo nach Frankfurt/Main am 31.01.2019. Die Beklagte antwortete auf die E-Mail, ein Herr T I sei beim Jobcenter nicht bekannt. Für den Kläger zuständige Arbeitsvermittlerin sei Frau M.
Mit an die Wohnadresse des Klägers gerichtetem Schreiben vom 15.05.2019 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten vollständigen Aufhebung seiner Leistungsbewilligung für die Zeit vom 29.12.2018 bis zum 30.04.2019 und zu einer Erstattung iHv insgesamt 3945,27 EUR an. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 40 Abs. 2 Nr. 3 iVm § 330 Abs. 3 SGB III iVm § 48 SGB X. Der Leistungsanspruch des Klägers sei entfallen, weil er sich seit dem 29.12.2018 ohne Genehmigung in Palästina und damit außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs iSd § 7 Abs. 4a SGB II aufhalte. Er habe die Beklagte nicht über die Ortsabwesenheit informiert. Der vom Klä...