Entscheidungsstichwort (Thema)
Neue Behandlungsmethode. Multimodale Schmerztherapie. Unabweisbarkeit. Atypischer Bedarf. Einstweilige Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Keine Medizinal-Cannabisblüten auf Kosten des Sozialhilfeträgers.
Normenkette
SGB XII § 27a Abs. 4 S. 1, § 42 Nr. 1, § 73 S. 1, §§ 48, 2 Abs. 2; SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a, § 135 Abs. 1 S. 1; BtMG § 3 Abs. 2; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 04.11.2016 abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Kostenübernahme für die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten.
Der am 00.00.1985 geborene Antragsteller stand bei der Antragsgegnerin seit Mai 2009 im Bezug u.a. von Leistungen der Grundsicherung nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Seit dem 11.05.2016 erhält er Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, da er dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Er leidet u.a. als Folge eines im Dezember 2008 erlittenen Badeunfalls an einem Zustand nach einer Fraktur in Höhe des 7. Halswirbelkörpers und Schädel-Hirn-Trauma. Folge ist eine dauerhaft ausgeprägte Schmerzsymptomatik.
Der Antragsteller wird aufgrund einer Verordnung seines behandelnden Arztes, des Internisten Dr. E, u.a. mit dem Arzneimittel "Medizinal-Cannabisblüten" versorgt. Hierfür besitzt er die für eine Behandlung mit diesem Arzneimittel notwendige Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes - (BtMG). Mit Urteil vom 22.01.2016 verpflichtete das Sozialgericht Dortmund die Krankenkasse des Antragstellers, die Barmer GEK, die Kosten für die monatliche Versorgung des Antragstellers mit 56g Cannabisblüten zu tragen (Az.: S 8 KR 435/14). Aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sei die Krankenkasse, so die Urteilsbegründung, zur Kostentragung verpflichtet. Dass die Versorgung mit Cannabisblüten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre, sei unschädlich, da § 13 Abs. 3a SGB V keine diesbezügliche Einschränkung enthalte. Gegen dieses Urteil ist bei dem LSG NRW ein Berufungsverfahren anhängig (Az.: L 5 KR 140/16).
Bereits mit Schreiben vom 25.06.2015 hatte der Antragsteller auch bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine weitere Behandlung mit Medizinal-Cannabisblüten in höherer Dosierung beantragt. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des F-Kreises vom 06.07.2016 ab. Ein Anspruch aus Sozialhilfemitteln bestehe nicht, da der Antragsteller vorrangig zur Klärung einer Versorgung bzw. Kostenübernahme mit seiner gesetzlichen Krankenkasse verpflichtet sei. Auch werde entsprechend einer im Widerspruchsverfahren eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme unter Auswertung der vorliegenden Unterlagen die medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit Cannabisblüten nicht gesehen. Insbesondere sei eine z.B. nach ambulanter Vorstellung des Antragstellers in der Abteilung für Schmerztherapie im Krankenhaus C C empfohlene, aber bisher nicht durchgeführte multimodale Schmerztherapie als alternative Behandlungsmöglichkeit anzusehen, die noch nicht ausgeschöpft sei. Die hiergegen erhobene Klage ist bei dem Sozialgericht Dortmund anhängig (Az.: S 41 SO 472/16).
Am 09.09.2016 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund um einstweiligen Rechtsschutz ersucht und beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die monatlichen Kosten für weitere 94g Cannabisblüten (in Höhe von derzeit 1.566,36 EUR) als Leistungen nach dem SGB XII zu übernehmen, sofern diese nicht von der Barmer GEK übernommen werden. Ein Abwarten auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei ihm unzumutbar. Nach der Stellungnahme seines behandelnden Arztes benötige er eine höhere Dosierung, da er das Arzneimittel krankheitsbedingt nicht als Inhalation, sondern als Teezubereitung zu sich nehmen müsse. Bisherige Schmerzmittel seien nicht ausreichend. Auch habe der Einsatz von Morphin zu Unverträglichkeiten geführt; medikamentöse Alternativen gebe es nicht.
Mit Beschluss vom 04.11.2016 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, "dem Antragsteller vorläufig, vorbehaltlich einer anderslautenden Hauptsachentscheidung, für die Zeit ab dem 09.09.2016 bis einschließlich 31.12.2016 weitere Leistungen nach dem SGB XII in Höhe der monatlich anfallenden Kosten für die Versorgung des Antragstellers mit (weiteren) 94g des Arzneimittels "Medizinal-Cannabisblüten" (derzeit 1.566,36 EUR) gegen entsprechenden Kostennachweis zu gewähren". Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die monatlichen Leistungen bei dem Antragsteller nach summarischer Prüfung vorläufig um einen Mehrbeda...