Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung bei Nachholung der Mitwirkungspflicht des Antragstellers zum Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Nach § 66 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 SGB 1 sind Sozialleistungen, u. a. Regelbedarfsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, zu entziehen, wenn der Antragsteller die zum Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit erforderlichen Unterlagen nicht beibringt.
2. Nach § 67 SGB 1 kann der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach § 66 SGB 1 versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Sind diese gegeben, so schränkt sich der Entscheidungsspielraum des Leistungsträgers in die Richtung einer Ermessensreduzierung auf Null ein.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Beschlusses des SG Düsseldorf vom 13.10.2021, soweit er die Entscheidung in der Sache betrifft, wie folgt neu gefasst wird:
"Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Regelbedarfsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 SGB II für die Zeit vom 01.07.2021 bis 30.11.2021 in der mit Bescheid vom 12.11.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.12.2020 bewilligten Höhe zu zahlen."
Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren werden dem Antragsgegner auferlegt.
Gründe
I.
Streitig ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Rechtmäßigkeit einer Entziehungsentscheidung des Antragsgegners und die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis 30.11.2021.
Der am 00.00.1989 geborene Antragsteller erhält laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.11.2020 für die Zeit vom 01.12.2020 bis 30.11.2021 Arbeitslosengeld II in Höhe von 777,00 Euro. Dabei entfielen 345,00 Euro auf die anerkannten Unterkunftskosten für die Wohnung des Antragstellers in der G-Straße 31 und 432,00 Euro auf die sonstige Hilfe zum Lebensunterhalt (Regelleistungen). Mit Änderungsbescheid vom 21.12.2020 wurde die Regelleistung zum 01.01.2021 neu festgesetzt auf 446,00 Euro. Den zwei Einladungen des Antragsgegners zu Telefonterminen am 10.02.2021 und 19.02.2021, um über die berufliche Situation zu sprechen, leistete der Antragsteller keine Folge. Aus Unterlagen, die dem Antragsgegner im Februar und März 2021 zugingen, ergab sich, dass der Versorgungsvertrag des Antragstellers mit der X AG über Gas für die Wohnung in der G-Straße 31 bereits am 06.12.2020 gekündigt worden war und die Jahresverbrauchsabrechnungen für Gas und Strom im Jahr 2020 nur einen sehr geringen Verbrauch auswiesen. Bei Hausbesuchen in der G-Straße 31 in anderer Angelegenheit stellte der Antragsgegner fest, dass die Rollläden der Wohnung des Antragsstellers stets unverändert waren, Klingelversuche waren erfolglos und der Vermieter gab an, der Antragsteller sei oft über längere Zeit nicht anwesend.
Daraufhin forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 20.05.2021 auf, folgende Unterlagen zur Feststellung, inwieweit ein Leistungsanspruch weiterhin besteht, einzureichen, und zwar bis zum 09.06.2021: Heiz- und Betriebskostenabrechnungen 2018, 2019 und 2020, letzte Stromabrechnung, lückenlose Kontoauszüge vom 01.01.2019 bis heute (tageaktuell), Anlagen EK und VM vollständig ausgefüllt und unterschrieben, schriftliche Erklärung zum regelmäßigen Aufenthaltsort, den Aufenthaltszeiten in der eigenen Wohnung oder in anderen Haushalten, schriftliche Erklärung zu den ausgeübten Erwerbstätigkeiten seit 2017 mit dazugehörigen Arbeitsverträgen und Lohnnachweisen. Er wies in dem Schreiben unter Bezugnahme auf §§ 60, 66, 67 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) darauf hin, dass, sollte der Antragsteller bis zu dem genannten Termin nicht reagieren oder die Unterlagen nicht einreichen, die Geldleistungen ganz versagt oder entzogen werden können, bis die Mitwirkung nachgeholt würde. Dies bedeute, dass der Antragsteller keine Leistungen erhalte. Das Schreiben warf ein Mitarbeiter des Antragsgegners am 21.05.2021 um 7.40 Uhr in den bereits gefüllten Briefkasten ein, da die Tür nicht geöffnet wurde. Mit weiterem Schreiben vom 17.06.2021 erinnerte der Antragsgegner an das Einreichen der Unterlagen unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 20.05.2021 und wies erneut auf die Entziehung der Leistungen hin.
Da der Antragsteller nicht reagierte, entzog der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.06.2021 gestützt auf § 66 SGB I das Arbeitslosengeld II ab 01.07.2021 bis 30.11.2021. Da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei, habe er die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Eine abschließende Prüfung könne daher nicht erfolgen. Die Entscheidung sei in Ausübung des eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung des Interesses der ...