Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Drittanfechtungsklage gegen Genehmigung einer Dialysezweigpraxis. Voraussetzungen für Dialysezweigpraxisgenehmigung. Streitwertfestsetzung
Orientierungssatz
1. Die Rechtsordnung gewährt bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten grundsätzlich keinen Drittschutz vor Konkurrenz. Nach Auffassung des BSG kann infolgedessen bei der sog defensiven Konkurrentenklage zur Abwehr eines zusätzlichen Konkurrenten eine Anfechtungsbefugnis nicht aus materiellen Grundrechten hergeleitet werden, weil hieraus kein Anspruch auf Fernhaltung Dritter folgt. In der Rechtsprechung wird aber die Frage, ob der vertragsärztliche Inhaber einer Dialysegenehmigung die Genehmigung einer Zweigpraxis anfechten kann, in der gleichermaßen Patienten dialysiert werden sollen, unterschiedlich beurteilt.
2. Vor dem Hintergrund von Art 12 GG ist bis zur abschließenden höchstrichterlichen Klärung davon auszugehen, dass eine solche Drittanfechtung jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig ist. Damit ist der Inhaber einer Dialysegenehmigung gegenüber dem Konkurrenten, der in seinem räumlichen Bereich eine Zweigpraxis betreibt oder betreiben will, anfechtungsbefugt.
3. Die Überprüfung im Einzelnen, ob eine Rechtsnorm drittschützenden Charakter hat, erfolgt erst im Rahmen der Begründetheit. Hierzu muss nicht nur ein räumliches Nähe-, sondern auch ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegen, wodurch der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat.
4. Das Tätigwerden weiterer Leistungserbringer neben einem solchen bereits vorhandenen ist von einer Bedarfsprüfung abhängig. Der weitere Leistungserbringer darf die gleichen Leistungen im selben räumlichen Bereich nur dann anbieten, wenn der entsprechende Versorgungsbedarf noch nicht durch die bereits vorhandenen und dauerhaft in das Versorgungssystem einbezogenen Leistungserbringer gedeckt ist.
5. Weil eine Dialysezweigpraxisgenehmigung die wirtschaftlichen Interessen der im selben räumlichen Bereich vorhandenen Dialysepraxisinhaber berührt, ist der Auslastungsgrad der im Umkreis der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen zu ermitteln.
6. Nur dann, wenn die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis oder der ausgelagerten Betriebsstätte nach einvernehmlicher Feststellung der Kassenärztlichen Vereinigung und der zuständigen Verbände der Krankenkassen auf Landesebene aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung notwendig ist, ist deren Genehmigung zu erteilen. Anderenfalls ist eine bereits erteilte Genehmigung auf die Drittanfechtung hin aufzuheben.
7. Zur Streitwertfestsetzung bei einem Rechtsstreit über die Aufhebung einer Dialysezweigpraxisgenehmigung.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.08.2010 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussbeschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.08.2010 abgeändert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung vom 10.11.2008 durch Anordnungsbescheid vom 03.08.2009 wird aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der zum Az. S 2 KA 188/09 (L 11 KA 92/10) vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage wird festgestellt.
Antragstellerin und Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen je zur Hälfte als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist eine zur vertragsärztlichen Versorgung in T zugelassene Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Innere Medizin, teils mit Schwerpunktbezeichnung Nephrologie. Am 28.08.2008 beantragte sie die Genehmigung einer fachärztlich nephrologischen Zweigpraxis mit Dialyse im St.-G-Krankenhaus F.
Die Antragsgegnerin holte eine Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz ein (Schreiben vom 02.10.2008). Diese teilte die Dialyseeinrichtungen ihres nördlichen Bereiches und deren Versorgungsregionen sowie die Auslastung der Praxen mit und wies darauf hin, dass sich darunter eine Hauptpraxis in C mit Zweigpraxis in B befinde; diese Dialysepraxis sei jedoch zu 100 % ausgelastet, so dass von dort aus keine weiteren Dialysepatienten aus den Gemeinden F, X und S versorgt werden könnten (Schreiben vom 13.10.2008).
Sodann wandte sich die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Stellungnahme der KV Rheinland-Pfalz an die Landesverbände der Krankenkassen mit dem Bemerken, es sei beabsichtigt, den Antrag zur Sicherstellung der wohnortnahen Dialyse-Versorgung zu befürworten; um Stellungnahme bis zum 07.11.2008 werde gebeten; sofern keine Stellungnahme abgegeben werde, setze sie - die Antragsgegnerin - das Einverständnis voraus (Schreiben vom 22.10.2008). Die Landwirtschaftliche Krankenkasse Nordrhein-Westfalen und der Landesverband der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen befürworteten den Antrag. Die übrigen Adressaten äußerten sich nicht.
Mit Bescheid ...