Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer. Unionsbürger. Verlust des Freizügigkeitsrechts durch Feststellung der Ausländerbehörde. Nichtvorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts. Anspruch auf Asylbewerberleistungen
Orientierungssatz
1. Hat die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts gemäß § 5 Abs 4 FreizügG/EU 2004 eines Unionsbürgers festgestellt, die die sofortige Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU 2004 begründet, so entfällt der rechtmäßige bzw gewöhnliche Aufenthalt im Sinne des § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 iVm § 30 SGB 1 auch dann, wenn gegen die Verlustfeststellung verwaltungsgerichtliche Klage erhoben wurde. Die Verlustfeststellung muss nicht vollziehbar sein. Der Suspensiveffekt der Klage nach § 80 Abs 1 S 1 VwGO lässt den rechtmäßigen Aufenthalt nicht wieder aufleben, sondern macht nur die Durchsetzung des Ausreisepflicht durch Abschiebung unzulässig.
2. Ist Klage gegen die Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 FreizügG/EU 2004 erhoben und entfaltet Suspensiveffekt nach § 80 Abs 1 S 1 VwGO, so hat der Unionsbürger einen Anspruch auf Duldung für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und damit Anspruch auf Asylbewerberleistungen gemäß § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG iVm § 3 AsylbLG.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 21.11.2019 geändert. Die Beigeladene wird einstweilig verpflichtet, den Antragstellern zu 1) bis zu 6) Leistungen nach § 3 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für die Zeit vom 02.10.2019 bis 31.03.2020 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Beigeladene trägt die Kosten der Antragsteller zu 1) bis zu 6) im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I. Der Antragsgegner wendet sich gegen seine einstweilige Verpflichtung, den Antragstellern Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 02.10.2019 bis 31.03.2020 zu gewähren.
Der Antragssteller zu 2) und die Antragstellerin zu 3) reisten mit ihren gemeinsamen drei Kindern, den Antragstellern zu 1), zu 4) und zu 5) (geboren 2010, 2012, 2014) am 21.12.2016 in die Bundesrepublik ein. Der Antragsteller zu 6) wurde 2017 und der Antragsteller zu 7) 2018 geboren. Die sieben Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige.
Die Antragsteller zu 1) und zu 4) besuchen die Schule. Die Antragsteller beziehen kein Kindergeld. Im Monat Februar 2020 hat der Antragsteller zu 2) eine Nachzahlung von Elterngeld i.H.v. 357,92 EUR erhalten
In der Zeit vom 01.10.2017 bis 30.07.2018 war der Antragsteller zu 2) als Bauhelfer bei der Firma H UG tätig. Das Entgelt betrug 400,00 EUR brutto (385,60 EUR netto). Das Arbeitsverhältnis wurde nach Angaben des Antragstellers zu 2) von der Arbeitgeberin aus betriebsbedingten Gründen gekündigt.
Mit fünf Bescheiden vom 17.01.2019 stellte das Ausländeramt der Beigeladenen den Verlust des Rechts der Antragsteller zu 1) bis zu 6) auf Einreise und Aufenthalt nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU fest, setzte eine Frist zur Ausreise bis zum 01.03.2019 und ordnete die sofortige Vollziehung an. Hiergegen erhoben die Antragssteller Klagen vor dem Verwaltungsgericht H in den Verfahren 16 K 428/19, 16 K 625 bis 628/19 und beantragten die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in den weiteren Verfahren 16 L 237/19, 16 L 239/19 - 243/19. Im Mai 2019 hob das Ausländeramt der Beigeladenen die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, weil nach den vom Antragsteller zu 2) eingereichten Unterlagen zu seinem aktuellen Arbeitsverhältnis bei der Firma HH, der Anmeldung der Beschäftigung bei der Sozialversicherung, nach Stundenzahl und Verdienst oberhalb des vom EuGH geforderten Mindestniveaus erneut ein Arbeitsnehmerstatus entstanden sein könnte.
In der Zeit vom 01.02.2019 bis 11.09.2019 war der Antragsteller zu 2) bei der Firma HH gegen einen Stundenlohn i.H.v. 9,50 EUR bzw. ab dem 01.04.2019 i.H.v. 10,00 EUR beschäftigt. Das Nettoentgelt betrug im Februar 2019 250,82 EUR, im März 2019 364,71, im April 2019 438,40, im Mai 2019 382,00 EUR, im Juni 2019 422,20 EUR und im Juli 2019 348,59 EUR.
Seit dem 19.09.2019 ist der Antragsteller bei der Arbeitnehmerüberlassungsfirma F GmbH als Helfer in der Industriereinigung befristet auf ein Jahr beschäftigt. Die Arbeitszeit beträgt 15 Stunden bei einem Entgelt von 9,79 EUR pro Stunde. Die Beschäftigung ist in der Gleitzone sozialversicherungspflichtig. Es ist eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart.
Mit Bescheid vom 19.09.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2019 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.10.2019 unter Berufung auf die Verlustfeststellungen ab. Hiergegen erhoben die Antragsteller Klage vor dem Sozialgericht Dortmund, S 53 AS 4953/19.
Mit Bescheid vom 19.12.2019 lehnte die Beigeladene den Antrag der Antragsteller vom 02.10.2019 auf Leistungen nach dem AsylbLG ab. Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein.
Am 02.10.2019 haben die Antragstell...