Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenabwägung bei der Bewilligung von einstweiligem Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Zur Bewilligung von einstweiligem Rechtsschutz ist das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen.
2. Für die Frage, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für den Antragsteller zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich.
3. Erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die entstehen, wenn das Ergebnis eines langwierigen Hauptsacheverfahrens abgewartet werden müsste, können ausreichen. Die mit jedem Hauptsacheverfahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile genügen nicht.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.5.2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der in Israel lebenden Antragstellerin ist als Rechtsnachfolgerin einer Verfolgten des Nationalsozialismus von der Antragsgegnerin eine Altersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligt worden. Sie begehrt die Überweisung der sich hieraus ergebenden Nachzahlung auf ein Anderkonto ihrer Prozessbevollmächtigten, hilfsweise den vorläufigen Verzicht auf die Überweisung der Nachzahlung auf ein ihr gehörendes Konto in Israel, während die Antragsgegnerin, einer Aufsichtsanordnung des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales folgend, die Nachzahlung lediglich auf ein solches, der Antragstellerin gehörendes Konto überweisen möchte. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat den Antrag abgelehnt (Beschluss v. 19.5.2010).
II.
Die gegen den Beschluss des SG erhobene zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das SG hat die Anträge zu Recht abgelehnt.
Der Hauptantrag ist als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Er ist jedoch unbegründet. Ein derartiger Antrag auf eine sog. Regelungsanordnung ist dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind (Senat, Beschluss v. 24.10.2008, L 8 B 15/08 R ER, juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b, Rn. 27). Das geltend gemachte Recht des Antragstellers, der Anordnungsanspruch, bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Keller aaO mwN). Bei der Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Keller aaO Rn. 27a).
Schon das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist fraglich. Ob ein solcher besteht, ist rechtlich höchst umstritten. Mit erwägenswerten und nicht von vornherein als unvertretbar erscheinenden rechtlichen Gesichtspunkten kann sowohl für als auch gegen das Vorliegen eines solchen Anspruchs argumentiert werden. So musste die Antragsgegnerin zur Klärung dieser Rechtsfrage gegenüber dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine Aufsichtsklage zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erheben, die unter dem Az. L 14 R 281/10 KL geführt wird. Der Ausgang jenes Verfahrens ist offen. Vor diesem Hintergrund ist der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens zwischen den Beteiligten ebenfalls als offen anzusehen.
Der Senat kann es vorliegend jedoch dahinstehen lassen, ob der Antragstellerin der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht, da jedenfalls kein Anordnungsgrund gegeben ist. Ein solcher muss bei einem Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG stets gegeben sein (Keller aaO Rn. 29 mwN). Für die Frage, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalls für den Antragsteller zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller aaO Rn. 29a mwN auch zu den folgenden Ausführungen). Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wie er vorliegend vom Senat angenommen wird, ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Dabei sind in die Interessenabwägung insbesondere die Intensität einer drohenden Verletzung von Grundrechten, die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Vorliegen einer unbilligen Härte, die Mitverantwortung eines Antragstellers für eine entstandene nachteilige Situation und das Verhalten des Antragstellers einzubeziehen. Erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die entstehen, wenn das Ergebnis eines langwierigen Hauptsacheverfahrens abgewartet werden müsste, können ausreichen. Die mit jedem Hauptsacheverfahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile genügen nicht.
Umstände, die wesentliche Nachteile im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG begründen können, sind von der Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Sie hat sich aussch...