Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Folgenabwägung. Arbeitslosengeld II. Darlehen für Stromschulden. Ausschöpfung zumutbarer Selbsthilfemöglichkeiten
Orientierungssatz
1. Energieschulden können nach § 22 Abs. 8 SGB 2 darlehensweise vom Grundsicherungsträger übernommen werden.
2. Eine Schuldenübernahme kommt nur in Betracht, wenn diese objektiv geeignet ist, die Energieversorgung dauerhaft zu sichern und der Leistungsberechtigte die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat.
3. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der zumutbaren Möglichkeiten zur Selbsthilfe ist bei dem grundsätzlich gebotenen Wechsel zu einem anderen Energieanbieter zu berücksichtigen, dass ein Tarifwechsel für einen Verbraucher nahezu ausgeschlossen ist, dessen Anschluss bereits gesperrt ist. Energielieferungsverträge ohne Bonitätsprüfung werden regelmäßig nur bei Vorkasse abgeschlossen.
4. Hinsichtlich rückständiger Energiekosten darf der Leistungsberechtigte nicht ausnahmslos auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden; denn der Energieversorgungsträger ist zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller für die Forderung aus Energieschulden in Höhe von 800 EUR vorläufig ein Darlehen zu gewähren. Die Zahlung in Höhe von 800 EUR ist unmittelbar an den Versorger - die Firma s - zu leisten.
Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U aus T beigeordnet. Kosten diesbezüglich sind nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U aus T beigeordnet.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe
Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig und begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86 b SGG in Verbindung mit den §§ 920 Absatz 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischen Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; Breithaupt 2005, 830 ff. m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage 2012, § 86 b Rn. 29 a).
Im Sinne der Folgenabwägung ist der Antrag auf darlehensweise Übernahme der Energieschulden begründet.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Stromsperre durch den Grundversorger s ist mehrfach angekündigt worden und steht nunmehr unmittelbar bevor; dies ergibt sich aus dem letzten Schreiben der Firma s vom 12.08.2014. Damit wird dem Antragsteller unmittelbar bevorstehend die Möglichkeit genommen, in der Wohnung zu kochen, Lichtquellen zu nutzen, zu waschen etc.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ob ein endgültiger Anspruch auf Gewährung eines Darlehens wegen der Rückstände nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) besteht, braucht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden.
Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der als Teil des Regelbedarfs eigentlich nicht den Unterkunftskosten zuzuordnen ist, können auch Energiesc...