Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen unter Berücksichtigung der 30-jährigen Verjährung
Orientierungssatz
1. Rechtsbehelfe gegen Beitragsbescheide prüfender Rentenversicherungsträger nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB 4 haben keine aufschiebende Wirkung.
2. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG verlagert das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden auf den Adressaten. Ob die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ausnahmsweise anzuordnen ist, hängt davon ab, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht.
3. Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB 4 greift dann ein, wenn der Beitragsschuldner die Sozialversicherungsbeiträge vorsätzlich vorenthalten hat.
4. Hierzu ist erforderlich, dass der Beitragsschuldner nicht nur die Tatsachen kennen muss, die zur Beitragspflicht führen, sondern auch die Beitragspflicht selbst für möglich halten muss. Dazu genügt, dass er durch Zugang eines Anhörungsschreibens Kenntnis von der möglichen Beitragspflicht erhalten hat, wenn der Versicherungsträger darin die Grundlagen der Beitragspflicht des Schuldners dargestellt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 4.6.2012 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.3.2012 wird hinsichtlich der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1.1.2004 bis zum 30.11.2004 nebst hierauf entfallender Säumniszuschläge angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Antragsstellerin zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 21.362,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.3.2012, mit dem die Antragsgegnerin Beiträge zur Sozialversicherung nachfordert.
Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen, das in der Sand- und Kiesgewinnung, im Baustoffhandel und im Tiefbau tätig ist. Im Anschluss an Ermittlungsmaßnahmen des Hauptzollamtes (HZA) C (begonnen am 8.1.2009) sowie eine Anhörung der Antragstellerin (Anhörungsschreiben v. 20.5.2009) forderte die Antragsgegnerin für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 85.448,39 Euro (einschließlich Säumniszuschlägen von 21.829,50 Euro) für die Zeit vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2008 nach (Bescheid v. 30.12.2009, bekannt gegeben am 4.1.2010, in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 7.3.2012). Der Beigeladene zu 1) sei bei der Antragstellerin als Baggerfahrer versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die für das Jahr 2004 nachgeforderten Beiträge seien nicht verjährt. Die Antragstellerin habe die Sozialversicherungsbeiträge nämlich vorsätzlich nicht abgeführt. Fahrer ohne Einsatz von wesentlichen Sachmitteln, die nur ihre eigene Arbeitskraft einsetzten, seien nach ständiger Rechtsprechung Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Die Antragstellerin habe in ihrer Kiesgrube darüber hinaus andere Personen u.a. als Baggerfahrer beschäftigt, die sie zutreffend als Arbeitnehmer im Sinne der Sozialversicherung eingestuft habe. Demnach sei ihr bewusst gewesen, dass der Beigeladene zu 1) möglicherweise sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein könne. Trotzdem habe sie kein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet.
Die Antragstellerin hat Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie hat vorgetragen: Die Klage habe nach § 7a Abs. 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) aufschiebende Wirkung. Der Beigeladene zu 1) sei aufgrund zahlreicher näher dargelegter Umstände (z.B. Gewerbeanmeldung, Verwendung eigenen Arbeitswerkzeugs, Höhe der gezahlten Vergütung, Tätigkeit für mehrere Auftraggeber) als Selbständiger anzusehen.
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt (Beschluss v. 4.6.2012, auf dessen Gründe Bezug genommen wird).
Mit der Beschwerde wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Für Beitragsnachforderungen nebst darauf entfallenden Säumniszuschlägen für die Zeit vom 1.12.2004 bis zum 31.12.2008 ist sie unbegründet. Für den davor liegenden Zeitraum ist sie begründet.
1. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschl...