Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bei Arbeitnehmerüberlassung

 

Orientierungssatz

1. Der Arbeitgeber hat nach § 28 e Abs. 1 SGB 4 den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Arbeitgeber ist derjenige, der unmittelbar mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag geschlossen hat und damit ein Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 7 Abs. 1 SGB 4 eingegangen ist.

2. Bei Arbeitnehmerüberlassung ist der Entleiher des Leiharbeitnehmers Arbeitgeber, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer wegen Fehlens der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unwirksam ist. Mit dem Zustandekommen des Arbeitsvertrages zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer entsteht ein Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 7 Abs. 1 SGB 4. Damit ist der Entleiher zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtet.

3. Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Verleiher dem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, die voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach dessen Weisungen ausführen.

4. Eine bloße Mitsteuerung einzelner Arbeitsphasen durch einen Dritten rechtfertigt noch nicht die Annahme von Arbeitnehmerüberlassung. Hierfür fehlt das notwendige Merkmal der vollen Eingliederung in den Betrieb des Entleihers und der alleinigen Weisungsunterworfenheit ihm gegenüber.

5. Die Einordnung von Weisungen des Hauptunternehmers an Mitarbeiter des Nachunternehmers als Anweisungen i. S. von § 645 Abs. 1 S. 1 BGB und die damit verbundene Annahme eines Werkvertrags setzt voraus, dass im Rahmen eines Nachunternehmervertrages ein hinreichend bestimmtes abnahmefähiges Werk beschrieben wird. Bei Fehlen eines solchen ist die Annahme eines Werkvertrages ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.2.2011 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 10.12.2010 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.11.2010 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.046.750,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.11.2010, mit dem diese aufgrund einer Betriebsprüfung eine Beitragsnachforderung von 4.187.013,47 Euro (einschließlich Säumniszuschläge i.H.v. 1.848.015,50 Euro) für den Zeitraum vom 1.1.2003 bis zum 30.9.2005 geltend macht.

Die Antragstellerin betreibt u.a. die Schlachthöfe I und M. Ausweislich der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft (StA) E vom 17.5.2010 im Ermittlungsverfahren 130 Js 62/05, die sich auszugsweise in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin befindet, bestanden im Streitzeitraum zwischen der Antragsgegnerin und der B Fleisch GmbH (im Folgenden: B) sowie der Q Fleisch GmbH (im Folgenden: Q) u.a. Werkverträge betreffend die Kalb- und Rindfleischzerlegung Band I und II (B) bzw. Band III (Q) sowie die Schweinefeinzerlegung (Q). Für den Schlachthof M existierte ein Werkvertrag mit B. B wie Q schlossen Werkverträge mit diversen vermeintlichen Subunternehmen, unter ihnen nach rumänischem Recht gegründete Gesellschaften, aufgrund derer die im angefochtenen Prüfbescheid näher bezeichneten, vielfach aus Rumänien stammenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (im Folgenden: rumänische Arbeitnehmer) im Bereich der Zerlegung in den Schlachthöfen der Antragstellerin eingesetzt wurden.

Die Antragsgegnerin zog die Antragstellerin nach Anhörung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für diese Arbeitnehmer heran (Bescheid v. 26.11.2010). Sie seien aufgrund illegaler Arbeitnehmerüberlassung für die Antragstellerin tätig geworden. Nach Auswertung der vom Hauptzollamt - Finanzkontrolle Schwarzarbeit - beigebrachten Unterlagen könne man nicht von der Durchführung von Werkverträgen zwischen der B und der Antragstellerin in den Schlachthöfen M und I ausgehen. Die Weisungsbefugnis über die Arbeitnehmer habe bei den Vorarbeitern G und P1 (M) bzw. X, T und N (I) gelegen. Diese hätten die Arbeitnehmer auch vor Ort eingeteilt. Zur Qualitätssicherung und in Stoßzeiten seien Zusatzkräfte in die Kolonne integriert worden. Die rumänischen Arbeitnehmer hätten erst angelernt werden müssen. Die B habe über die Ausführung des Gewerks nicht frei entscheiden können, da ihr die Anzahl der Arbeitnehmer und die Tätigkeitsfelder vorgegeben worden seien. Sie habe nur das Personal zur Verfügung gestellt. Der Vorarbeiter P1 habe in seiner Vernehmung angegeben, dass eine Vermischung der Arbeitnehmer in der Rinderzerlegung und in der Verpackung im Schlachthof M alltäglich gewesen sei. Die Vorarbeiter X und T hätten den rumänischen Arbeitnehmern laufend die Schnittführung gezeigt. Es sei im Schlachthof I kein abgegrenztes Gewerk erbracht worden, wodurch Gewährleistungsansprüche nicht mehr zu verwirklichen seien. Die rumänischen Arbeitnehmer seien hi...

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