Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von Grundsicherungsleistungen für bulgarische und rumänische Staatsangehörige
Orientierungssatz
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB 2 ist Leistungsvoraussetzung, dass der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat. Bei einem Ausländer ist das nur dann der Fall, wenn er über einen Aufenthaltstitel verfügt, der den persönlichen Aufenthalt zulässt.
2. Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger haben nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger so lange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht. Danach kann der stellensuchende Unionsbürger ausgewiesen werden, wenn dieser sechs Monate nach seiner Einreise keine Stelle gefunden hat, sofern dieser nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht.
3. Ist es dem Betroffenen innerhalb eines Zeitraumes von eineinhalb Jahren nicht gelungen, auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Fuß zu fassen und kann er konkrete Bewerbungen aktuell nicht vorlegen, so besteht dessen Freizügigkeitsrecht wegen Arbeitsuche i. S. von § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nicht mehr.
4. Die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG sieht in Art. 6 ein generelles Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten vor; ein darüber hinaus gehendes Aufenthaltsrecht in Art. 7 als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat, ferner nur bei ausreichender Mittel und Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes. Bei einem Mangel an Mitteln, die eigene Existenz zu sichern, erwächst aus Art. 18 EGV kein Recht zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Staates.
5. Bulgarische und rumänische Staatsangehörige bedürfen einer Arbeitserlaubnis-EU/Arbeitsberechtigung-EU nach § 284 SGB 3, die nur in Abhängigkeit vom Nichtvorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer erteilt werden kann. Bei Fehlen eines entsprechenden Titels besteht kein Anspruch auf Leistungen des SGB 2.
6. Solange ein bulgarischer bzw. rumänischer Staatsangehöriger nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung-EU ist, besteht auch unter Beachtung des allgemeinen primärrechtlichen Diskriminierungsverbots ein objektiver Grund, ihn von Leistungen der Grundsicherung auszuschließen.
7. Aus dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB 2 folgt kein Anspruch auf Leistungen des SGB 12. Aus Art. 1 Abs. 1 GG lässt sich lediglich die Verpflichtung zur Gewährung solcher Leistungen herleiten, die notwendig sind, um dem Betroffenen eine Rückkehr in sein Heimatland zu ermöglichen.
Tenor
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.04.2012 werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die am 00.00.1977 geborene Antragstellerin zu 1) und der am 00.00.1967 geborene Antragsteller zu 2) sind nach eigenen Angaben Eltern des am 00.00.2008 geborenen Antragstellers zu 3). Sie sind bulgarische Staatsangehörige und reisten nach vorherigem Aufenthalt in Belgien im Oktober 2010 in das Bundesgebiet ein. Die Antragsteller zu 1) und 2) verfügen über unbefristete Freizügigkeitsbescheinigungen gem. § 5 des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit dem jeweiligen Vermerk, wonach zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU erforderlich sei.
Die Antragstellerin hatte vom 09.03.2011 bis zur Abmeldung am 24.03.2011 ein Gewerbe "Reinigung nach Hausfrauenart", vom 29.03.2011 bis zur Abmeldung am 02.08.2011 ein Gewerbe "Garten- und Landschaftsbau" angemeldet, der Antragsteller vom 08.02.2011 bis zur Abmeldung aus gesundheitlichen Gründen am 29.09.2011 ein Gewerbe im Baubereich. Gegenüber dem Antragsgegner hat der Antragsteller zu 2) zuletzt im Juni 2011 450,00 EUR Betriebseinnahmen angegeben, denen monatliche Aufwendungen von 110,00 EUR gegenüberstanden. Die Antragstellerin zu 1) hat keinerlei Einkünfte gemeldet.
Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern bis einschließlich März 2012 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. zuletzt monatlich 960,40 EUR und lehnte den am 29.02.2012 gestellten Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 15.03.2012 und der Begründung ab, die Antragsteller hielten sich seit Gewerbeabmeldung des Antragstellers zu 2) am 29.09.2011 mit dem alleinigen Aufenthaltszweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf und seien daher nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen.
Hiergegen haben die Antragsteller mit Schreiben vom 02.04.2012 Widerspruch eingelegt und am 03.04.20...