Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts über die verweigerte Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit
Orientierungssatz
1. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss über die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit hat der Gesetzgeber mit § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 HS. 2 ZPO eine eindeutige Regelung getroffen. Andererseits steht der hiernach zulässigen Beschwerde die Vorschrift des § 172 Abs. 2 SGG mit dem darin formulierten Beschwerdeausschluss entgegen.
2. Nach der Gesetzesbegründung verdrängt § 172 Abs. 2 SGG die gegenläufige Regelung des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 HS. 2 ZPO. Unter systematischen Gesichtspunkten stellt § 172 Abs. 2 SGG eine Ausnahmevorschrift dar und steht in einem Spezialitätsverhältnis zu § 172 Abs. 1 SGG. Nichts anderes gilt für § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 HS. 2 ZPO. In einem solchen Fall gilt, dass der Ausnahmetatbestand des § 172 Abs. 2 SGG durch die neugeschaffene Spezialregelung des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 HS. 2 ZPO neutralisiert wird.
3. Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und teleologische Gesichtspunkte sprechen entgegen der Gesetzesbegründung für eine Beschwerdemöglichkeit nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO. Damit ist gegen den Beschluss des Sozialgerichts, mit dem das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wird, das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 14.06.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Im Hauptsacheverfahren (S 33 AS 1840/11) begehrt der Kläger die Aufhebung eines Sanktionsbescheides für die Monate Mai bis Juli 2011. Dabei wird inhaltlich auch um seine Berechtigung zur Nichtteilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme gestritten.
Das Sozialgericht Duisburg (SG) lehnte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Anschluss an die Begründung des Widerspruchsbescheides unter Hinweis auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs wegen Verfristung ab (Beschluss vom 06.07.2011). Diese Auffassung teilte das Landessozialgericht (LSG) nicht und bewilligte auf die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 15.11.2011 (L 7 AS 1382/11) Prozesskostenhilfe. Das SG werde "das Klageverfahren auszusetzen haben, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, in eine Sachprüfung einzutreten und aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes nach medizinischer Ermittlung ( ...) einen Widerspruchsbescheid zu erlassen." Dem folgend setzte die abgelehnte Richterin nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 10.01.2012 den Rechtsstreit bis zur sachinhaltlichen Widerspruchsentscheidung aus.
Mit Schreiben vom 28.02.2012 übersandte der Beklagte dem Gericht zwei von ihm eingeholte Befundberichte mit Anlagen mit dem Hinweis, daraus ergebe sich kein wichtiger Grund für die Pflichtverletzung vom 22.03.2011. Der Klägerbevollmächtigte werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch angesichts des eindeutigen Fehlens eines wichtigen Grundes noch aufrecht erhalten werde oder ob die Beklagte und das Gericht mit noch mehr Arbeit in diesem Fall belastet werden sollten.
Daraufhin verfügte die abgelehnte Richterin am 02.04.2012 die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Übersendung des Schreibens nebst Anlagen an den Klägerbevollmächtigten und forderte diesen zur Stellungnahme auf. Es werde anheimgestellt, die Klage zurückzunehmen. Auf § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde vorsorglich hingewiesen.
Mit Schreiben vorn 10.04.2012 äußerte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten die Besorgnis der Befangenheit. Das Schreiben des Gerichts sei nicht nachvollziehbar. Das Verfahren sei durch Beschluss vom 10.01.2012 ausgesetzt, so dass nicht verständlich sei, weshalb sich das Gericht - ohne das Verfahren wieder aufgenommen zu haben - inhaltlich zu dem Ergebnis der durch die Beklagen durchgeführten Ermittlungen dergestalt äußere, dass es eine Fortführung des Verfahrens offenbar für missbräuchlich halte. Wenn das Verfahren zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt sei, obliege die Entscheidung über den Widerspruch ausschließlich der Beklagten. Das Gericht könne daher nicht durch einen Hinweis auf § 192 SGG Partei ergreifen und so das Widerspruchsverfahren beeinflussen. Es bestünden insbesondere deshalb Bedenken, weil sich das Gericht bisher inhaltlich zu dem streitgegenständlichen Bescheid noch nicht geäußert habe. Der nun vorliegende Hinweis rechtfertige die Besorgnis, dass das Gericht ohne erkennbar eine Sachprüfung vorgenommen zu haben, bereits vorfestgelegt sei, ohne überhaupt erst die Entscheidung der Beklagten im Widerspruchsverfahren abzuwarten. Die im gerichtlichen Hinweis gewählten Formulierungen "vorsorglich" bzw. "anheimgestellt" änderten daran nichts.
Die abgelehnte Richterin hat sich dahingehend geäußert, dass sie...