Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachprüfungsrecht eines pharmazeutischen Unternehmens bei der Ausschreibung einer Festpreisvereinbarung durch die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Krankenkassen bedürfen zur Ausschreibung von Festpreisvereinbarungen für Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf keiner speziellen Ermächtigung. Für die Annahme einer Antragsbefugnis des pharmazeutischen Herstellers i. S. von § 107 Abs. 2 GWB reicht es aus, dass ihm durch die Art und Weise der durchgeführten Ausschreibung ein Schaden in Form eines entgangenen Gewinns zu entstehen droht.

2. Die gesetzliche Krankenkasse kann wie ein Privater die zu vergebende Leistung und den Auftragsgegenstand autonom bestimmen. Ein Anspruch der Bieter auf Mitgestaltung im Rahmen der Bedarfsdefinition besteht demgegenüber nicht.

3. Der Krankenkasse als Auftraggeber steht bei der Festlegung eines bestimmten Produktes oder einer bestimmten Leistung ein in der Privatautonomie wurzelndes Beurteilungsermessen zu, das nur darauf kontrolliert werden kann, ob ihre Entscheidung vertretbar ist.

4. Die Krankenkasse hat im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsermessens das Für und Wider einer wirkstoff- bzw. indikationsbezogenen Ausschreibungskonzeption gegeneinander abzuwägen.

5. Es existiert keine gesetzliche Grundlage, die Vertragsärzten eine Ersetzungspflicht auferlegt. Radiologen können bei der Verordnung von Sprechstundenbedarf unter Berufung auf den Grundsatz der Produktneutralität oder unter abstrakter Benennung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht zu einer Substitution wirkstoffgleicher Kontrastmittel gezwungen werden.

 

Tenor

Der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 17.04.2009 wird aufgehoben und der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragsgegnerinnen sowie der Beigeladenen zu 5) zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen trägt die Antragstellerin. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 5) trägt die Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene zu 5) im Verfahren vor der Vergabekammer sowie im Beschwerdeverfahren wird für notwendig erklärt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (AS) - eine pharmazeutische Unternehmerin, die auf den Gebieten Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Kontrastmitteln tätig ist - wendet sich gegen aus ihrer Sicht bestehende Vergabefehler im Rahmen einer Ausschreibung für Kontrastmittel.

Die Antragsgegnerinnen und Beschwerdeführerinnen (AG) sind gesetzliche Krankenkassen und haben die "Lieferung von Kontrastmitteln" für radiologisch tätige Vertragsarztpraxen im Freistaat Sachsen in einem EU-weit bekannt gemachten offenen Verfahren durch Bekanntmachungen vom 11.12.2008 (Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 16.12.2008) in insgesamt 12 Ausschreibungen mit jeweils ca. 90 Fachlosen für eine Vertragslaufzeit vom 01.04.2009 bis 30.06.2010 ausgeschrieben (Ende der Angebotsfrist: 02.02.2009). Jedes Fachlos bezieht sich auf eine Pharmazentralnummer (PZN). Die PZN wird von der Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten GmbH (IFA) an die dort gemeldeten, in Deutschland oder EU-weit zugelassenen Fertigarzneimittel unter Angabe der Arzneimittelbezeichnung, des Arzneimittelherstellers, des Wirkstoffs, der Wirkstoffmenge, der Darreichungsform und der Packungsgröße vergeben. Die jedem Fertigarzneimittel zugeordnete PZN erlaubt die Identifizierung sämtlicher Arzneimittel nach den dargestellten Kriterien. Das hier anhängige Verfahren betrifft die PZN 1072763 bis 1996958 (Vergabe-Nr.: 0046-KM-Sachsen-2008), PZN 248249 bis 3019856 (Vergabe-Nr.: 0048-KM-Sachsen-2008), PZN 3180586 bis 3571795 (Vergabe-Nr.: 0050-KM-Sachsen-2008), PZN 3950297 bis 4597696 (Vergabe-Nr.: 0052-KM-Sachsen-2008), PZN 4597704 bis 6970395 (Vergabe-Nr.: 0053-KM-Sachsen-2008).

Nicht von den Ausschreibungen erfasst sind die nach Maßgabe des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) abgegoltenen vertragsärztlichen Leistungen. Die AG beabsichtigen, pro Fachlos jeweils einen Rahmenvertrag (RV) mit dem obsiegenden Bieter zu schließen. Die RV sollen die Belieferung und die Bezugspreise der jeweiligen Einzelaufträge bestimmen. Das Angebot der Bieter zum Abschluss der Rahmenvereinbarung soll dessen Bezugspreis je Verpackungseinheit für die jeweilige PZN bestimmen. Als Bezugspreis ist der in den jeweiligen Angeboten genannte Angebotseinheitsnettopreis je Verpackungseinheit der jeweiligen PZN einschließlich sämtlicher Nebenkosten für die Dauer der RV vorgesehen. Alleiniges Zuschlagskriterium für die Vergabe ist der Preis (Nr. 8 der Verdingungsunterlagen).

Kontrastmittel sind Arzneimittel, die gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. d) Arzneimittelgesetz (AMG) nicht an den Bezugsweg über öffentliche Apotheken gebunden sind. Radiologisch tätige Vertragsärzte beziehen Kontrastmittel i....

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