Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehen der Einigungsgebühr bei Einverständnis mit lediglich darlehensweise bewilligter Grundsicherungsleistungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Orientierungssatz
1. Die Einigungsgebühr nach Nrn. 1006, 1005, 1000 VV RVG fällt bei einer Einigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten an. Einigung ist der Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Ein Vertrag i. S. der Nr. 1000 VV RVG liegt auch dann vor, wenn auf ein teilweises Anerkenntnis eine Rücknahme des Rechtsbehelfs erfolgt.
2. Danach fällt die Einigungsgebühr u. a. dann an, wenn der Antragsteller in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf eine lediglich darlehensweise Bewilligung von Grundsicherungsleistungen seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt und damit auf eine weitergehende Verpflichtung des Antragstellers verzichtet.
3. Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG steht in einem solchen Fall der Zubilligung der Einigungsgebühr nicht entgegen. Einigen sich die Beteiligten in einem Eilverfahren, weil Unsicherheit über die maßgebliche Sachlage besteht, und wird dadurch das Verfahren beendet, so liegt ein zulässiger Prozessvergleich und damit eine zulässige Einigung i. S. der Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG vor.
4. Die hierzu erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts besteht in der Übernahme der Verantwortung dafür, dass das gegnerische Angebot, mit welchem der geltend gemachte Anspruch nicht voll anerkannt wird, dennoch den Interessen seines Mandanten entspricht. Hierbei hat er die Vor- und Nachteile einer Einigung aus der Sicht seines Mandanten abzuwägen, bevor er auf die Sachentscheidung über den ursprünglich gestellten Antrag verzichtet.
Tenor
Auf die Beschwerde der Bevollmächtigten des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.01.2012 geändert. Die der Bevollmächtigten aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird auf 570,90 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren.
Der anwaltlich vertretene Antragsteller beantragte am 29.08.2011, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "nach § 19 ff. SGB II" ab 01.09.2011 zu bewilligen. Der Antragsgegner hatte die Zahlung abgelehnt, weil der Antragsteller bei mehreren unangekündigten Hausbesuchen unter der von ihm angegebenen Adresse nicht erreichbar gewesen sei. Nach Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers, wonach er unter der angegebenen Adresse wohne, erklärte der Antragsgegner sich bereit, für die Zeit vom 01.09.2011 bis zum 29.02.2012 die Regelleistung von monatlich 364,00 EUR darlehensweise zu bewilligen (Schriftsatz vom 13.10.2011). Mit Schriftsatz vom 17.10.2011 erklärte der Antragsteller, das "Anerkenntnis" werde angenommen und der Rechtsstreit werde für erledigt erklärt.
Die im Wege der PKH-Bewilligung (Beschluss vom 23.09.2011) beigeordnete Bevollmächtigte des Antragstellers hat beantragt (Schriftsatz vom 24.11.2011), die Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:
- Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV/RVG: 250.- EUR
- Terminsgebühr Nr. 3106 VV/RVG: 200.- EUR
- Auslagenpauschale Nr. 7002 VV/RVG: 20.- EUR
- Ablichtungen Nr. 7000 VV/RVG: 27,40 EUR
- Umsatzsteuer Nr. 7008 VV/RVG: 94,51 EUR
- Gesamt: 591,91 EUR.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Gelsenkirchen hat die Vergütung auf insgesamt 349,27 EUR festgesetzt. Er hat von der beantragten Vergütung die geltend gemachten Aufwendungen für 19 Ablichtungen sowie die Terminsgebühr abgezogen. Kopien von Schriftstücken, von denen der Bevollmächtigte bereits eine Durchschrift besitze, seien nicht erstattungsfähig. Die Terminsgebühr entstehe nur in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei.
Gegen diese Entscheidung hat die Bevollmächtigte des Antragstellers Erinnerung eingelegt. Sie hat nunmehr unter Berufung auf das Urteil des SG Berlin vom 01.09.2009 - S 22 AL 1150/09 - geltend gemacht, dass eine Erledigungsgebühr (Nr. 1006, 1005, 1002 VV/RVG) i.H.v. 190.- EUR entstanden sei und die Festsetzung einer Vergütung i.H.v. insgesamt 580,01 EUR beansprucht.
Mit Beschluss vom 28.12.2011 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Festsetzung der Erledigungsgebühr abgelehnt. Von der Bevollmächtigten des Antragstellers seien keine Bemühungen entfaltet worden, die über das Betreiben des Verfahrens hinausgingen. Die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung sei hierfür nicht ausreichend.
Auch hiergegen hat die Bevollmächtigte Erinnerung eingelegt.
Mit Beschluss vom 28.01.2012 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen ...